Tinder für Rinder

Lange schlanke Beine, tolles Becken, üppige Brust – da sollte sich doch ein Partner finden lassen. Aber wer die Wahl hat, hat die Qual – und greift dann doch zu Tinder. In dem Fall für Rinder, denn „Tarif“ ist ihr Name und sie ist eine Kuh. Sie steht gemeinsam mit ihren 120 Freudinnen bei Arne Hansen im Stall, den ich heute besuchen darf.

Arne ist ein echt cooler Typ. Er engagiert sich im Dorf und hilft bei der Feuerwehr und bei der Landjugend, wo er kann. Von letzterer Institution kenne ich ihr. Er saß mit mir gemeinsam im Landjugend-Bus nach Berlin zur Grünen Woche. Das muss 2012 oder so gewesen sein. Zu dem Zeitpunkt hatte er grad seine Melkroboter auf dem Hof bekommen – daran erinnere ich mich noch.

Melkroboter klingt ziemlich unsexy ehrlich gesagt. Im Gegensatz zum Staubsauge- oder Rasenmähroboter ist der Melkroboter festinstalliert am Rande des Kuhstalls. Die Kühe gehen hier freiwillig rein in die maßgescheiderte Box. Ihr „Amulett“ am Hals verrät dem Computer im Melkroboter, wie sie heißt, ob sie heute schon mal zum Melken war, wieviel Milch durchschnittlich von ihr erwartet wird bei dem Besuch. Hammer fancy das ganze. Da könnt ich mich gut mit ner Tüte Chips vorsetzen. Macht Arne das auch? Immerhin muss er ja nicht mehr selber melken. „Denkste! Das ist der größte Irrtum“, sagt Arne. Die Zeit, die er beim Melken einspart, ist er jetzt zwischen seinen Kühen. Er füttert sie, beobachtet sie, schaut nach ihrem Wohlbefinden. Er kümmert sich einfach. Die Kühe sind super ruhig, wenn er durch die Reihen geht. Immer dabei hat er sein Handy. Über Smartphones sind wir ja alle fix connectet, denn man mag es kaum glauben: Arne ist genauso ein Mensch wie wir alle und nutzt sein Handy für seinen Job – und für die Partnersuche. Allerdings nicht für die eigene, denn der smarte Landwirt ist vergeben an die liebe Janina. Nein, ich meine natürlich für die Partnersuche seiner „Mitarbeiterinnen“ aus dem Stall.

Heute soll es ein Partner für „Tarif“ sein. Die Gute ist eine wirklich tolle Kuh und top in Form, sie hat nur einen kleinen „Makel“, wenn man so will. Ihre hinteren Zitzen sind sehr kurz. Per se hat nichts schlimmes, nur hat der Roboter von Arne gerne längere Zitzen, um die Melkbecher optimal an die Zitze zu bekommen. Was machen wir also? Kleiner Exkurs: Die Kinder von der Westküste kennen das: Wenn alle in der Familie Überbiss haben, sucht man sich einen Partner, der keinen hat und mit ein bisschen Glück spart man sich in der Pubertät den Gang zum Kieferorthopäden mit den Kindern. Bei Kühen ist das ähnlich: Wir suchen uns einen Vater, der lange Zitzen vererbt. Wenn’s klappt, super. Wenn nicht, auch nicht so wild. Die Zahnspangenkinder werden jetzt nicken. Überlebt man auch, muss nur vom Fachmann betreut werden.

Wir öffnen also die App, Tinder für Rinder, und schieben ein bisschen am Filter, was der Zukünftige für Attribute mitbringen soll. In dem Fall schauen wir auf die Vererbung der Zitzenlänge – und werden fündig: Unser Traumbulle heißt Kontex. Zugegeben, der Name ist etwas besonders, aber wer sucht denn schon einen Partner nach Namen aus? Ich nicht. Hah! („Dein Freund/Mann heißt Volker? [Pause.] Wie alt ist der?“ – „Achso, zwei Jahre älter als du…Mein Papa heißt übrigens auch Volker.“) Also Kontex, deine inneren Werte haben überzeugt. Leute, es kommt zum Match.

Okay, es folgt der unromantische Part. Arne ruft bei der Besamungsstation an, die betreiben die Tinder-für-Rinder-App. Da es nachhaltiger ist den Bullen nicht im Viehanhänger von Neumünster nach Nordfriesland zu karren, wird nur sein kostbares Erbgut mittels und der Besamungstechniker (diese Berufsbezeichnung hat sich auch ein Mann ausgedacht) kommt am nächsten Tag vorbei und besamt die Kuh. Wie das genau von statten geht, das erzähle ich euch hier.

Eure Deichdeern.

Für mehr Transparenz: Für diesen Beitrag hat mir der NDR für das Format „Das!“ über die Schulter gefilmt. Eine tolle, aufregende Erfahrung für mich. Vielen Dank für die offene und detailverliebte Arbeit, liebes Team rund um Redakteurin Steffi.

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