Als „Jannes Schwester“ kocht sich Kerstin ein Jahr lang durch Nordfrieslands Heimatküche

Moin!

Heute möchte ich euch jemanden ganz Besonderes vorstellen: Ihr Name ist Kerstin und eigentlich ist die gebürtige Nordfriesin Psychotherapeutin. Jetzt, mit 36 und ein paar Jahren Hamburger Großstadtlufterfahrung, ist sie mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in ihre alte Heimat gegekehrt – und zieht uns alle in ihren kulinarischen Bann. Kerstin hat mit ihrem Umzug nach Südtondern beschlossen, dass sie sich ein Jahr lang durch Nordfriesland kochen möchte. Unter dem Pseudonym „Jannes Schwester“ hat sie die besten Rezepte aus über 70 norddeutschen Kochbüchern gesammelt und postet fast täglich ihre Lieblingsgerichte. Von super süß bis super deftig – alles kommt bei Kerstin auf dem Tisch und vor die Linse. Das meiste davon bodenständig und ohne viel Schnickschnack.

Typisch norddeutsch: Birnen, Bohnen und Speck. Fotos (5): jannes schwester

Kerstin, du bist bekannt für dein „Nordfriesisches Jahr“. Was ist das genau?

Kerstin: Als meine Oma verstorben war, habe ich ein Rezeptbuch mit handgeschriebenen Rezepten zu allen möglichen Gerichten von ihr bekommen. Das war dann für mich der Anstoß, mich damit nun endlich zu beschäftigen. Vorher hat sich nie die Gelegenheit dafür ergeben und im Januar diesen Jahres dachte ich, ich fange jetzt einfach an.

Und entwickelst du die Rezepte alle selbst?

Ich sammle Kochbücher schon seitdem ich denken kann nordfriesische Kochbücher und Rezepte. Ich habe auch andere Kochbücher, aber nur die Norddeutschen und Nordfriesischen alleine sind schon über 70 Stück. Hinzu kamen noch die privaten Rezeptbücher von den Omas meiner Freundinnen und ihren Urgroßmüttern. Meine Mutter hat mir bei manchen Niederschriften geholfen, Sütterlin zu entziffern. Ich koche auch mal was aus den anderen Kochbüchern, aber eben meistens Rezepte aus den privaten Rezeptbüchern von meiner Oma, den anderen Großmüttern und Urgroßmüttern. Das ist auch die Idee dahinter. Zu gucken, was typisch nordfriesische Gerichte und Getränke sind. Was sind Gerichte die viele kennen und was sind Gerichte, die schon in Vergessenheit geraten sind. Das möchte ich über das Jahr verteilt einfach mal vorstellen, genau so wie die Geschichten dahinter.

Das ist Kerstin. Sie kocht sich als @Jannes_Schwester durch über 70 norddeutsche Kochbücher und postet ein Jahr lang ihre Lieblingsgerichte. Foto: Maike Hilbert

Wie kam es dazu, dass du für dich für ein „Nordfriesisches Jahr entschieden hast?

Nachdem ich nach Nordfriesland zurückgezogen bin, hatte ich ein bisschen Zeit und musste mich erstmal wieder neu finden. Ich habe dann auch gedacht, dass das ja etwas wäre, was man auch gut für sich machen könnte, denn kochen tue ich sowieso jeden Tag. Fotografieren hat mir auch schon immer viel Spaß gemacht. Ich wollte diese ganzen Rezepte alle unbedingt mal ausprobieren.

Was sind die Herausforderungen der Gerichte – neben der Sütterlinschrift?

Es gibt so ein paar Rezepte, vor denen ich noch ein bisschen Angst habe. Ich denke da an Schwarzsauer mit Schweineblut oder Saure Rolle. Bei der Letzterem wird ein Pansen gefüllt und in Essig eingelegt. Anschließend schneidet man da Rollen heraus und brät das ganze an. Dann noch Schnuten un Poten, also Schweineschnauze und Schweinefüße, das gehört auch mit zu den Sachen, die ich noch ein bisschen aufschiebe.

Mein „nordfriesisches Jahr“ wird deshalb wahrscheinlich auch ein halbes Jahr länger dauern als ursprünglich geplant. Mir ist die Regionalität dabei auch ganz, ganz wichtig. Das Fleisch ist immer von hier und ich versuche die anderen Zutaten auch immer von hier zu bekommen. Da muss ich manchmal auch einfach die Saison abwarten für die verschiedenen Produkte.

Groten Hans/Großer Hans.

Was macht die nordfriesische Küche in deinen Augen so besonders?

Die Rezepte sind immer relativ einfach. Die Zutaten wiederholen sich oft, was aber total interessant ist auch hinsichtlich der Vielfalt, was man aus eienr Zutat alles machen kann. Die Nordfriesen waren schon immer durch die Seefahrt geprägt. Deswegen gibt es in vielen Rezepten auch spannende Zutaten, die man so gar nicht erwarten würde. Wir haben zum Beispiel früh Vanille in den Rezepten oder Zitrone. Aber eben auch Reis ist früh verwendet worden, weil es früh schon durch die Seefahrt hierher kam. Das hat das Bild ja auch geprägt. Die haben ja nicht nur Rum importiert, sondern auch solche Zutaten.

Die Küche von damals ist aber nicht für die heutigen Bedürfnisse gemacht. Wir sind beispielsweise alle keine körperlich schwer arbeitenden Landwirte mehr. Ich koche auch nicht jeden Tag nordfriesisch, denn das würde mir ja auch nicht gut bekommen. Wenn man sagt, man kann davon ab und an mal was einbauen, dann ist das doch klasse.

Was ist dein Ziel mit dem nordfriesischen Jahr?

Mein Ziel ist es zu vermitteln, was es alles gibt und die Rezepte vor dem Vergessen zu bewahren. Ich sehe mich selbst als eine Art „Hüterin der Rezepte“. Es gibt so viele schöne Dinge, wie zum Beispiel das Broken Sööt (Gebrochene Süße). Dieses Gericht ist etwas total typisches für Nordfriesland. Wir essen ja relativ häufig herzhaft mit süß. Zu Kassler gibt es dann Kirschkompott, Birnen mit Speck oder Pfannkuchen wird mit Apfelkompott und Speckscheiben gegessen. Da gibt es unzählige Beispiele für und das ist schon ein typischer Geschmack. Egal, ob man das jetzt kalorienreich herstellt oder weniger kalorienreich, die Kombination ist einfach cool. Das kann man sich ja auch gut aneignen und auf andere Rezepte übertragen. Das sind die Dinge, die ich so toll finde. Und ich hoffe, dass ich solche Rezepte auch irgendwann mal mit Leuten teilen und gemeinsam kochen kann.

Fliederbeersuppe mit Mehlklöschen. Ein Traum.

Hast du schon immer gerne gekocht?

Ich habe das Kochen früh von meiner Mutter gelernt und früh angefangen selbst zu kochen. Das ist meine Art der Entspannung. Ich mache das oft abends oft zum runterkommen. Manche Gerichte verlangen nach Kreativität, da manche Zutaten nicht (mehr) so leicht verfügbar sind. Notfalls muss ich da auch mal trotz meines regionalen Anspruches bestellen. Zum Beispiel wurde früher viel leichteres braunes Bier gebraut. Das kann man hier gar nicht mehr kaufen. Das habe ich dann aus Nordrhein-Westfalen „importieren“ lassen. Ein anderes Mal wollte ich einen speziellen Branntwein haben. Den habe ich dann aus Ostfriesland kommen lassen. Aktuell möchte ich etwas mit getrocknetem Schellfisch oder Klippfisch machen und den bekomme ich hier auch nicht. Das muss ich jetzt auch über das Internet bestellen. Das sind alles Produkte, die man hier nicht mehr zum Kochen verwendet. Ich versuche ja immer, so ein paar ganz alte Sachen zu machen, die ein bisschen abgefahrener sind und dann so ein paar Sachen, die man eher aus der jetzigen Zeit noch kennt. Birnen, Bohnen und Speck kennt noch jeder, aber Buchweizengrütze (doch! Julia! Link führt zum Rezept meiner Oma) kennt jetzt vielleicht nicht jeder. Ebenso ist es beim Klippfisch oder Milchreis mit braunem Bier. Das Bier wird noch mit Ei aufgekocht. Da eine Mischung zu finden aus Rezepten die schon sehr alt sind und Rezepten, die man jetzt noch kennt, das versuche ich immer umzusetzen.

Napfkuchen mit Rosinen.

Würdest du jedem empfehlen, sich mit der regionalen Küche aus seiner Gegend zu befassen?

K: Ich glaube, dass jeder einen anderen Zugang dazu hat. Aber ich glaube, es ist spannend zu gucken, wie man sich mit seiner Region identifizieren kann. Ich glaube, man kann nur global sein, wenn man auch lokal verbunden ist. Es ist immer ganz wichtig, dass man irgendwas hat, wo man sich mit seiner, vielleicht auch Wahlheimat, oder seiner tatsächlichen Heimat, denn manchmal ist Heimat ja auch da, wo man hingezogen ist, identifiziert.

So dass man sagt, das fühlt sich nach Heimat an und wie kann ich mich damit auseinander setzen? Bei dem einen ist es vielleicht schon die Sprache, die er pflegt, so wie bei mir das Friesische oder auch das Plattdeutsche. Bei dem Anderen ist es das Kochen und beim übernächsten sind es dann irgendwelche Brauchtümer. Von Tracht tragen bis hin zu Karnevalsvereinen um Köln herum, da gibt es ja verschiedenste Möglichkeiten zu sagen, das ist meine Region und jenes macht sie aus und so identifiziere ich mich damit.

Was bedeutet Heimatküche für dich?

Heimatküche bedeutet für mich wohlfühlen und Erinnerungen an meine Kindheit. Das sind Gerichte, die immer noch Glücksgefühle auslösen und einen an besondere Situationen erinnern. Man kann ja viel darüber abrufen, wenn man sagt: „Oh, weißt du noch als wir dieses Lakritz-Softeis auf Rømø am Strand gegessen haben? Das war so ein schöner Tag“, sowas bleibt dann irgendwie hängen.

Oder die Erinnerung an meinen Bruder und mich, wie wir bei meiner Oma in der Küche sitzen. Wir durften bei meiner Oma immer Fanta trinken. Dann saßen wir da und haben irgendwas leckeres von ihr gegessen und haben aus dem Küchenfenster geguckt mit der Fanta in der Hand. Das war einfach total schön. Man verknüpft so viele schöne Erinnerungen mit den Gerichten und Kindheitserinnerungen sind ganz eng bei mir mit Heimatküche verknüpft.

Halligbrot.

Warum teils du deine Kochkünste auf deinem Instagram-Kanal?

Ich habe gedacht: „Ach, wenn ich immer ein Bild dazu mache, für mich und mein privates Rezeptbuch, dann kann ich das Bild ja auch veröffentlichen.“ Dann sehe ich für mich auch, dass ich weiter mache und die ganze Sache auch nicht im Sande verläuft. Da ist Instagram für mich die richtige Plattform. Das geht schnell und passt gut zu dem, was ich vorhabe. Nein, an die Öffentlichkeit zu gehen, war für mich nicht von vornherein klar. Ich hatte mein Konto anfangs noch auf privat eingestellt und habe das dann irgendwann später erst geändert. Erst gab es die Idee überhaupt nicht. Ich bin dann motiviert worden und dachte dann: „ach, naja wenn das Ende des Jahres zehn Leute sind, die sich die Rezepte angucken ist es auch in Ordnung.“

Aber es sind ja schon ein paar mehr als 10 Follower geworden…

Ja, das habe ich nicht erwartet! Aber mal gucken, es ist ja auch zeitlich begrenzt. Nach anderthalb Jahren, denke ich, sind nicht alle Rezepte der nordfriesischen Welt gekocht, aber dafür eine ganze Menge.

Was haben deine Freunde und Familie dazu gesagt als du damit angefangen hast?

Ach, das läuft so ein bisschen an denen vorbei, ehrlich gesagt. Mein Bruder ist auch bei Instagram und der verfolgt das. Von ihm stammt ja auch mein Account-Name. Ansonsten läuft das einfach so ein bisschen nebenher. Meine Mutter hilft mir dann manchmal beim Übersetzen, wenn das von der Schriftart her für mich zu schwierig ist. Mein Vater hat mir auch geholfen, die alten Rezeptbücher zu archivieren. Sie einzuscannen und auszudrucken, damit ich nicht in den alten Büchern immer blättern muss und die dann eventuell kaputt mache.

Hast du ein Gericht, wo du sagst, das war jetzt einmal und nie wieder?

Tatsächlich ist es der Milchreis mit dem braunen Bier. Das war nicht so meins. Mit klassischem süßen Malzbier, das schön kalt ist, schmeckt das auch ganz gut. Aber wenn man ein herberes Bier nimmt, dann trifft das geschmacklich nicht so meine Richtung. Das Braunbier mit dem Ei war mir da zu abgedreht, ansonsten hat mir bis jetzt alles geschmeckt.

Gibt es denn auch Gerichte, wo du sagst, die kochst auf gar keinen Fall?

Ja, das sind einmal Möweneier mit Heringsstippe. Denn Möweneier gibt es nicht mehr zu kaufen. Ich glaube, die stehen auch unter Naturschutz. Und dann wäre da noch der Biestmilchpudding. Biestmilch ist die erste Muttermilch der Kuh und die soll das Kälbchen haben. Da würde ich mich unwohl fühlen, wenn ich dem Kälbchen die Milch vorenthalten würde.

Oonbraas/Birnen im Teig/Ofenkater.

Könntest du dir vorstellen dein „Nordfriesisches Jahr“ als Kochbuch herauszubringen?

Das wird es sogar geben. Ich mache das selbstfinanziert. Ich habe eine Fotografin und eine Grafikerin an der Hand. Jetzt starten wir noch nicht richtig, weil ich noch im Prozess bin, die Rezepte abzuarbeiten. Die Idee ist aber schon ganz konkret und das werden wir auch verfolgen. Das wird dann in Kleinstauflage erscheinen, denn ich will das auch nicht aus der Hand geben. Ich möchte das schon so machen, wie ich es gerne hätte, ehrlich gesagt. Deswegen haben wir uns gesagt, dass ich das selber mache und dann gucken wir mal, wo die Reise hingeht.

Die Rezepte sollen dann in dem Kochbuch auf Hochdeutsch und auf Friesisch sein. Das ist auch mein zweites Standbein, die Sprache zu schützen und auch weiter zu geben. Da habe ich auch jemanden. Bente hilft mir, weil ich mit den ganzen Spezialbegriffen in den Rezepten sonst überfordert wäre.

Das Team steht und dann gucken wir mal. Deswegen wollen wir im Herbst eigentlich auch durchstarten. Eine große Auswahl an Rezepten wird da schon rein kommen, aber alle wahrscheinlich nicht. Das ist dann so wie eine Sammlung was man gekocht hat, über das Jahr hinweg.

Was machst du, wenn du das „Nordfriesische Jahr“ vorbei ist?

Ja, ich werde dann sicherlich ein paar der gekochten Rezepte in meinen Hausgebrauch übernehmen. Ansonsten werde ich mich dann auf andere Regionen stürzen. Zum Beispiel Dänemark find ich echt interessant. Denn über Dänemark gibt es kaum Kochbücher, die ins Deutsche übersetzt worden sind. Das finde ich ganz spannend. Das ist das nächste, was ich mir vornehmen möchte. Gerade wegen unserer kulturellen und auch geografischen Nähe finde ich das sehr spannend. Ich möchte auch versuchen in Kochabenden die Rezepte mit anderen zu kochen. Da bin ich gerade dabei, meine Fühler auszustrecken.

Wenn ihr mehr von Kerstin und ihrem Nordfriesischen Jahr sehen wollt, klickt einfach hier.

Liebe Kerstin, vielen lieben Dank für das Interview. Ich würde mich freuen, wenn wir dein Kochangebot auch in der App aufs Land finden werden.

Eure Deichdeern.

4 comments Add yours
  1. Schön jetzt ein bisschen mehr von Hannes Schwester zu erfahren…für mich ist -seit Coronaviruszeiten nochmal mehr -Bücher/Kochbücher lesen ein bisschen wir verreisen -ohne Quarantäne! danke

  2. Hallo, ich habe diesen Bericht gelesen. Der Biestmilchpudding ist ethisch total in Ordnung. Früher hat man schon die Milch eingefroren. Natürlich nur, wenn eine Kuh für das Kalb zu viel gegeben hat. Wenn eine andere Kuh keine Biestmilch gab, wurde ein weiteres Kälbchen ebenfalls versorgen. Hatte der Bauern dann vielleicht ein oder zwei Portionen zu viel, gab es Biestmilchpudding. So hat es jedenfalls meine Tante( heute 85 Jahre) berichtet.
    Wir haben einen Bauernhof mit zwei Melkrobotern. Wenn jetzt zu viel Biestmilch gemolken wird, passiert im Grunde das gleiche. Wir frieren sie ein und verkaufen sie weiter. Vielleicht ist es dir ja möglich so einen Bauernhof in der Nähe zu finden. Dann kannst du ihn doch mal ausprobieren. LG Maria

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