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Wo sind die Kinderbücher ohne Schemel und Milchkanne?

Moin!

Es ist 10.45 Uhr. Ich rolle mit meinem Auto auf den Bauernhof von Arne und Janina. Wir haben heute ein Date für einen Blogbeitrag. Janina winkt mir schon freudig entgegen. Janina ist eine große, blonde, schlanke Frau. Sie trägt ein schwarzes Shirt und eine moderne Arbeitshose in schwarz mit neonfarbenen Reißverschlüssen. In einer der praktischen Seitentaschen hat sie ihr Smartphone versteckt. Daraus erklingt Chartsmukke. In ihrer Hand hat sie eine Drahtbürste. Sie bürstet gerade zwei alte, rostige Milchkannen ab, die sie beim Aufräumen auf dem Boden gefunden hat. „Zwei echte Schmuckstücke“, sagt sie und fügt hinzu: „Die machen sich bepflanzt sicherlich super als Deko im Vorgarten.“ Die Milchkannen waren das letzte Mal in den 70ern im Einsatz.

Für meine „Tinder für Rinder“ – Story (kommt Dienstag) begleitet sie mich in den lichtdurchfluteten Milchviehstall im hinteren Teil des Hofes. Heute ist es nicht mehr üblich, dass der Stall direkt an das Bauernhaus grenzt. Wir betreten den Futtertisch. So heißt der Mittelgang in dem Stall. Auf meinem linken Ohr höre ich den zarten Takt zweier Melkmaschinen. Arne und Janina besitzen zwei sogenannte Melkroboter. Das sind festinstallierte Boxen, in die die Kühe freiwillig gehen, um dort gemolken zu werden.

Szenenwechsel

Es ist 19.15 Uhr. Selber Tag. Ich bringe meinen Sohn zu Bett und lese ihm wie immer ein Pixi-Buch vor. Heute lesen wir die Geschichte von Lieselotte. Lieselotte lebt mit der Bäuerin auf dem Hof. Wir schlagen das Heft auf. Die linke Seite zeigt die Bäuerin (immerhin eine Frau, hah!), die Lieselottes Milch in einen Blech-Eimer melkt. Die rechte Seite stellt uns als Lesern die „Lernzielkontrollfrage“, in welche Kanne die Bäuerin die gemolkene Milch nun für den Milchwagen bereitstelle. Um es zu vereinfachen, stehen mögliche Behältnisse zur Auswahl: Ein Teekännchen, eine Gießkanne, eine Kaffeekanne, noch eine Kaffeekanne oder eine Milchkanne. Puh.

 

Ich stelle meinem zweieinhalbjährigen Sohn die vorgegebene Frage und er erwidert: „Weiß ich nicht.“ Woher auch, schließlich kennt er Milchkannen nur als zierendes Dekoelement an Auffahrten und Hauseingängen.

Warum erzähle ich diese Geschichte?

Ich möchte ein Bewusstsein bei den Eltern schaffen, Dinge zu hinterfragen, ob sie wirklich die Realität abbilden. Wir prägen unsere Kinder unterbewusst durch die Bücher, die wir ihnen vorlesen. Und damit meine ich nicht nur das Bild der modernen Landwirtschaft, sondern zum Beispiel auch die Rollenverteilung von Mann und Frau. Viel zu oft wird eine Mutter hinterm Herd und ein Vater am Computer skizziert. An dieser Stelle zitiere ich gerne eine meiner Instagram-Followerin, die mir zu dem Kinderbuch-Frauenbild vor kurzem schrieb, dass sie ihrem Kind in dem Fall sagt, dass die Mutter Spitzenköchin sei und der Vater Hausmann ist. Nach einem langen Tag des Hausmannsdaseins hätte er sich eine Pause am PC verdient. Ich finde den Vergleich großartig.

So sollte es bei dem landwirtschaftlichen Bild auch sein. Ich für meinen Teil habe meinem Sohn gesagt, dass alles, was er auf der rechten Seite des Pixi-Buches sehe, nur Deko sei. Die Milch werde schließlich aus dem 3.000-Liter-Milchtank* vom Tankwagen abgeholt. Er nickte und sagte nur „Mama, weiß ich doch.“

Liebe Eltern, wie sind eure Erfahrungen? Worauf achtet ihr beim Kinderbuchkauf? Bilder, Sprache, Preis, Format oder auch Emanzipation oder Realitätsnähe? Was stört euch an Kinderbüchern besonders? Was findet ihr richtig gut? Bitte schreibt mir eure Gedanken hierzu unten in die Kommentare. Ich bin dankbar für jeden, der sich die Zeit nimmt. Ich würde das Thema gerne in nächster Zeit konkreter verfolgen. Die ersten Gespräche laufen 😉

Eure Deichdeern.

*Falls nachfragen auftauchen, hier noch eine kleine Milchmädchenrechnung, wie ich auf die 3.000 Liter kam:

Eine Kuh gibt im Schnitt 28 Liter Milch pro Tag. Am Anfang mehr, fast 50 Liter, am „Ende“ (so nach 300 Tagen) rund 15 Liter. Wenn man nun 100 Kühe hat und die Milch täglich abgeholt wird (was heute nicht mehr die Regel ist. Heute wird die Milch alle zwei Tage abgeholt.), kommt man auf 2.800 Liter am Tag. Wir brauchen also, mit etwas Puffer, einen 3.000 Liter-Tank. Wenn die Milch alle zwei Tage abgeholt wird, dann braucht man entsprechend einen 6.000 Liter-Tank. Der Tankwagenfahrer holt die Milch ab und befördert sie mittels einer Art Feuerwehrschlauch in den großen Tank-Lkw. Und noch was: JEDES Mal bei jeder Abholung nimmt der Lkw-Fahrer eine Probe der jeweiligen Milch. Das macht er nicht per Hand, sondern das geschieht auch vollkommen automatisch, damit kein Schmu passieren kann. Sollte auch nur eine Kuh, die mit Antibiotika behandelt wurde, versehentlich mit in den großen Milchtank gemolken worden sein, wird das sofort bemerkt. Das hat enorme Konsequenzen: Der Bauer muss die gesamte Tankfüllung (ca. 15.000 Liter x aktuellen Milchpreis) bezahlen, weil die Milch nicht „verkehrsfähig“ ist und entsorgt werden muss. Außerdem bekommt der Bauer als Strafe für den ganzen Monat (!) mindestens 2 Cent weniger pro abgelieferten Liter. Das bedeutet, dass so ein Faux-pas, wenn eine mit Antibiotika behandelte Kuh mit in den großen Tank gemolken wird, mehrere tausende Euros kosten kann. Einfache Milchmädchenrechnung.

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