“Nicht schubsen, ich bin kein Bauernkind.”

Werte Deichdeern-Leser,

wer mich kennt, weiß, dass ich keinen Gag auslasse und mich gerne von einer Sarkasmuswelle durch den Tag tragen lasse. Bis jetzt. Genau jetzt. Mein Facebook-Algorithmus hat sich den vergangenen zwei Wochen leidenschaftlich dem Thema „Mobbing von Bauernkindern“ gewidmet. Trotz konsequentem Cookies-Löschen. Ich würde das gerne ignorieren. Funktioniert schließlich bei sinnlosen Buchempfehlungen, Anti-Pickel-Masken oder der Aufforderung von Detlef D! Soost (I make you sexy und so)  auch wunderbar, aber bei dem Thema nicht.

Hier also mein Senf:

Meine Schulzeit war schön. Ok, zugegeben: Ich war in den Pausen besser als im Unterricht, aber deshalb mache ich heute auch beruflich was mit Kommunikation. Ich konnte mit jedem: den Computerfreaks, den Sportlern, den Barbies, den Rauchern, den Metalfans und ja, auch mit den besonderen Menschen. Die, die irgendwie anders waren: Die Stinker, die Cowboystiefelträger und die, die nach der 8ten Stunde ein Eierbrötchen im Bus aus dem Eastpak zogen. (Jeder kennt diesen einen Typ Mensch, der im Sommer nach der achten ein Eier- oder Leberwurstbrot aus der Tasche zieht.)

Und was ist jetzt mit den Bauernkindern? Gute Frage, bei mir sind die oben bei den Sportlern und den Metalfans einsortiert. Sie fielen nie auf…obwohl?! DOCH! Einmal im Jahr fielen sie auf. Am Wandertag. Man möge sich eine düstere, musikalische Untermalung bei dem Wort „Wandertag“ (döööödööööödöööö) vorstellen, denn unsere Lehrer (von der Auguste-Viktoria-Schule in Itzehoe, Große Paaschburg 68!!!!) hatten nie Bock auf diesen Tag. Nie. Never ever.

Also kam es, wie es kommen musste: Ein Freiwilliger musste her, bei dem wir diesen Tag abhängen konnten bzw. dessen Muddi dann die komplette Orga übernahm und die Lehrkraft fein aus dem Schlawittchen war. Zu 95 % fand dieser Tag also immer auf dem Bauernhof eines Mitschülers statt, denn für die Bauernkinder war es nie schlimm den Hof voller Menschen zu haben. Es waren stets tolle Tage mit reichlich Action und noch reichlicher was für die Figur. Dass wir abends nach so einem Tag nach Bauernhof rochen, haben wir nicht gemerkt, sondern nur die, die uns abholten. So what?! Klamotten kannste waschen, Erinnerungen aber bleiben.

Ich konnte es mir also beim besten Willen nicht vorstellen, dass die Wahrnehmung der Bauernkinder sich in den letzten zehn (ok, 15…) Jahren so geändert hatte und so musste ich recherchieren. Ich rief meine Blogleser dazu auf mir ihre Erfahrungen mitzuteilen.

Hier ein paar Auszüge aus den zahlreichen Nachrichten, die mich erreichten:

„Hallo Julia, meine vier Kinder haben keine guten Erfahrungen damit gemacht, in der Schule bekannt zu geben, dass die Eltern Landwirte sind. In der Grundschule war das noch cool, denn die ganze Klasse durfte auf unseren Bauernhof kommen. Dann gab es natürlich kostenlos Frühstück, Spiele, Tiere zum Kuscheln und jede Menge Informationen. Die Kinder waren begeistert. Doch danach, auf den weiterführenden Schulen, haben sich meine Kinder nicht mehr getraut, zu sagen, dass die Eltern Landwirte sind. Sie wurden aufs Übelste gemobbt und gehänselt. Gerade gestern hat mein Sohn im Religionsunterricht ein Referat über Massentierhaltung halten müssen und stand allein auf weiter Flur. Wenn nun schon der Lehrer im Vorfeld sagt, dass heute alle Bauern Massentierhalter sind, dann ist das Ergebnis der Referate schon vorgegeben. Mein Sohn war jedenfalls todunglücklich mit dem Vortragen seines Referates und wurde in der Klasse von dem Lehrer angeprangert. Es ist nicht das erste Mal, dass er aufgrund des Berufs seiner Eltern gemobbt wird. Das kennt er schon. In ein paar Tagen haben die meisten Schüler wieder vergessen, dass er ein Massentierhaltersohn ist und finden neue Themen, über die sie lästern können. Aber er ärgert sich besonders über den Lehrer, der weiterhin auch andere Schüler mit seiner Massentierhaltungsverschwörungstheorie bekehren will.“

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„Hallo! Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen und fand es bis zur Grundschule richtig toll, weil ich viele Freiheiten hatte und Tiere, egal ob Schweine, Kühe, Katzen, Hunde oder Pferde, immer geliebt habe und immer noch liebe. In der Grundschule fing das Mobbing dann allerdings richtig an. Unser Kuhstall ist mit dem Haus verbunden, weshalb es natürlich immer nach Kuhstall gerochen hat. Dadurch rochen natürlich auch meine frisch gewaschen Sachen immer leicht nach Kuhstall. Viele Kinder kommen auch von Bauernhöfen oder wohnen in der Nähe davon, aber dadurch, dass unser Hof etwas außerhalb liegt und ich trotz Geschwister  (ca. 15 Jahre älter) fast als Einzelkind aufgewachsen bin, war ich das perfekte Mobbingopfer. Es hat sich durch die komplette Grundschule und Orientierungsstufe gezogen, dass ich Stinky genannt wurde oder die Kinder nur mit mir gespielt haben, wenn es für sie irgendeinen Vorteil gebracht hat. Ich habe als Kind sehr darunter gelitten und zum Dorf die Beziehung nahezu abgebrochen. Ich liebe den Hof meiner Eltern. Mittlerweile haben wir zwar außer ein paar Hühnern keine Tiere mehr, aber ich möchte meine Kindheit auf dem Hof nicht missen. Trotz der negativen Erlebnisse mit anderen Kindern, wünsche ich mir, dass meine Kinder genauso frei und mit genauso viel Umwelteinflüssen aufwachsen können wie ich. Zur Zeit lebe ich zwar berufsbedingt in der Stadt, aber es zieht mich und meinen baldigen Mann auf’s Land zurück. Er kommt genauso wie ich vom Bauernhof und hatte nicht mit solchen Anfeindungen zu kämpfen. Vielleicht weil er Freunde hatte, die wirklich zu ihm gestanden sind.“

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„Moin Julia, wir waren in MeckPomm die Helden in der Schule. Meine Brüder waren erst auf einer Dorfschule bis zur 10. Klasse und da wusste jeder, wann es bei uns ne neue Spritze, einen neuen Mähdrescher usw. gab und natürlich auch mit welcher Schneidwerksbreite, ob das Teil schon selbst fahren konnte und wie das im Vergleich zum Nachbarbetrieb ist.“

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„Hey Julia, mein Bruder wurde als Schweineficker betitelt. Und das täglich. Zu mir wurde gesagt, dass ich stinke etc. Mein zweiter Bruder wurde nicht geärgert. Meinen Nichten wird heute bisher nur gesagt, dass sie stinken. Beide gehen zur Grundschule. In der zweiten Klasse hat meine Nichte mit der Klasse einen Kuhhof besucht, einige Kinder durften von den Eltern nicht mit, weil sie sonst stinken würden. Ein paar Kinder waren voreingenommen und haben sich schlecht benommen. Die Kinder geben das wieder, was sie zu Hause hören. Früher lag es wohl eher an dem Bildungsstand der Familie. Heute hat sich das geändert. Die Wahrnehmung der Landwirtschaft und ihrer Produktionsverfahren ist kritischer geworden.“

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“Hallo, vorab muss ich sagen, dass wir selbst keine richtige Landwirtschaft mehr führen. Mein Vater gab den Betrieb schon vor langer Zeit auf und nun gibts bei uns nur noch einen Pensionsbetrieb für Pferde. Jedoch hab ich früh mein Interesse an der Landwirtschaft gefunden und im Alter von 13-16 in den Ferien und auch an Wochenenden auf anderen Betrieben geholfen und auch wirklich viel gearbeitet. Trotzdem galt ich schon in der Grundschule als Bauer wurde vielleicht minimal mal gehänselt jedoch war es nie was dauerhaftes und nichts, was ich persönlich als Mobbing bezeichnen würde. Auf der weiterführenden Schule war es ziemlich genauso, jedoch hab ich von vielen Leuten immer mehr Respekt bekommen, dafür,dass ich schon in dem Alter so fleißig war und so dazu stand. Natürlich kamen immer mal wieder Kommentare, wie ekelig das doch sei und dass das gar nicht Mädchenhaft ist. Inzwischen ziehen Lehrer mich in Diskussionen mit ein , wenn es um Themen geht die Landwirtschaft (nicht nur in Deutschland) beinhalten. Da ich eine vernünftige Position vertreten und sachlich belegt Argumentieren kann. Natürlich gibts Lehrer die mich belächeln und bei denen ich weiß, dass sie über mich denken, dass ich ein Dorftrottel und Oberbauer sei. So denken auch einige Mitschüler . Jedoch hab ich bei der großen Masse Respekt gewonnen durch Fleiß und (Fach-)Wissen. Schlussendlich kann ich einfach sagen , dass die Landwirtschaft, auch wenn ich aus Persönlichen Gründen Ferien- und Aushilfsjobs aufgegeben hab , mein Selbstbewusstsein , den Respekt und die positive Aufmerksamkeit von anderen gesteigert hat.”

Bis zu dem Zeitpunkt war ich schon mittelmäßig fassungslos, was es für Mobbinggeschichten gibt, aber dann folgte diese hier:

“Unser Sohn wurde gleich in der ersten Klasse wegen dem Hof gemobbt. Immer wieder gab es abfällige Bemerkungen oder Schlägereien. Für unseren Sohn war es so schlimm, dass er wieder bei uns im Bett schlafen wollte. Er weinte sich in den Schlaf und kam erst zur Ruhe, wenn ich mich dazulegte. Am liebsten wäre er nicht mehr in die Schule gegangen. Die Lehrer haben es nicht ernst genommen und sich auch nicht gekümmert. Zum Schluss ist es so eskaliert, dass er einen Jungen extrem verprügelt hat. Daraufhin habe ich nach dem ich deswegen in der Schule antreten musste sämtliche Eltern informiert, die es betraf. Sie haben ihn festgehalten und nicht zum Bus gelassen, das ging so weit, dass ich ihn eine Zeit lang gefahren habe.  […]

In der 5. Klasse an der neuen Schule, ging es wieder los. Beschimpfungen, Kloppereien usw. Es kamen Nachrichten auf sein Handy…”scheiß Bauer, geh Kühe melken”, “deine Eltern sind Tierquäler, die verpesten alles” usw. Ich entdeckte zufällig einen Bericht über einen Jungencoach in der Zeitung. Da fuhren wir hin. Er war auf Mobbing spezialisiert und gab ihm gute Tipps, sich nicht darauf einzulassen und auch keine Angriffsfäche mehr zu bieten. Die Stunde hat jedes Mal 60 € gekostet, aber das Geld war gut angelegt. Die Situation beruhigte sich nach und nach und alle konnten langsam nach all den Mobbingjahren besser schlafen.” 

Ja, was soll ich sagen. Zunächst war ich dankbar, dass sich so viele Menschen mir gegenüber geöffnet haben und von ihren Erfahrungen berichteten. Gleichzeitig nimmt es mich aber doch ziemlich mit, denn unsere Kinder können nichts für den Beruf, den ihre Eltern ausüben.

Sprachlos und betrübt ziehe für mich als persönliches Resümee, dass ich mich in dem Bereich der „landwirtschaftlichen Früherziehung“ und der Kommunikation unseres Berufsstandes weiterhin noch mehr engagieren werde, denn unsere Kinder sind unsere Zukunft. Wenn die das Vertrauen in uns Bauern verlieren, dann bin ich meinen Job los. Klare Sache.

Eure Deichdeern.

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Schlechter Spruch oder Wirklichkeit?

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