Ein Gastbeitrag einer Hamburger Mama
Liebe Mamas,
ich muss mal etwas los werden:
Seit sechs Monaten bin ich nun stolze Mutter eines kleinen Mädchens. Seit ihrer Geburt bin ich gefühlt nochmal in eine ganz neue Welt eingetaucht. Eine Welt, in der man munter über Windelinhaltskonsistenzen, Schnullerketten und Babymassage spricht. In dieser Welt ist alles rosarot – bis auf das Thema Ernährung. Das fängt beim Stillen-/Nicht-Stillen-Wahnsinn an und das hört beim Thema Gläschen, also verzehrfertige Babynahrung, auf. Über Letzteres möchte ich mit euch sprechen, weil es mich tatsächlich sehr bewegt.
Wenn ich mit euch beim Babykurs im hippen Hamburg sitze und merke, dass mein Kind Hunger hat, bricht bei mir innerlich die Panik aus. Panik, weil ich weiß, dass ich VOR EUCH ein fertiges Gläschen Babynahrung aus dem Supermarkt öffnen muss. Ich habe in meinem Leben schon viele fassungslose Blicke beobachten können, aber eure…ich bringe es auf den Punkt: Ihr schaut mich an, als wenn ich ein Schotgewehr aus der Tasche ziehe. Das sagen zumindest eure Blicke. Das gibt mir so ein ungutes Gefühl – und das, obwohl ich ein riesiger Fan von Gläschen bin. Wenn ich euch das sage, ernte ich wieder Blicke. Manche von euch trauen sich zu fragen, warum ich nicht selber für meine Kleine kochen würde; ich wisse doch gar nicht, was da in den Gläschen alles drin wäre…unter anderem diese ganzen Pestizide…
Ihr Lieben, ich lege jetzt mal meinen Mama-Superhelden-Umhang ab, fasse meinen Mut zusammen und sage euch nun, was ich beruflich mache: Ich arbeite für einen Pflanzenschutzmittelvertreiber. Und haltet euch fest: Das auch noch sehr gerne. Ich weiß, ein paar werden ab jetzt nicht mehr weiterlesen. Braucht ihr auch nicht. Ich möchte nur, dass diejenigen von euch, die eine differenziertere Meinung haben als die, die die PeKip-Tante uns vorbetet, mir zuhören.
Der modernen Landwirtschaft wird viel unterstellt. Sie hat keinen guten Stand in der Gesellschaft. Bei euch Großstadtmamas erst recht nicht. Manche Kritik ist sicherlich auch berechtigt, manche ist einfach falsch. Nehmen wir zum Beispiel die Debatte bio versus konventionell. „Bio ist gut – konventionell ist schlecht“. Und weil ihr das glaubt und die Nachfrage bestimmt, produzieren die Gläschenhersteller nun nahezu alle, wie „die, die dafür mit ihrem Namen stehen“ und deren Mitbewerber ausschließlich bio.
Nun kommt aber die Krux: Ich kenne jemanden, der in der Lebensmittelkontrolle für so einen Gläschenhersteller arbeitet und er sagt, so genau wie da alles kontrolliert und geprüft wird, so gut und sicher kannst du dir die einzelnen Lebensmittel im Supermarkt gar nicht selbst zusammen kaufen. Aber trotzdem wird auch hier der Fortschritt (ist doch toll, dass ich nicht ewig in der Küche stehen, Fleisch kochen und pürieren muss….) als negativ – da nicht ursprünglich – abgetan. Ich verstehe das nicht.
Gleiche Situation, anderes Beispiel: Wenn ich Leuten erzähle, wie genau und strikt Pflanzenschutzmittel geprüft werden, was es da alles an Restriktionen (=Beschränkungen), Auflagen und Wartezeiten gibt. Da wird einem ja auch kaum zugehört. Viele Leute haben ja auch einfach gar nicht mitbekommen, wie sich das so alles entwickelt hat und ziehen ihr Wissen aus Spiegel-Online-Überschriften, die ihnen auf Facebook im Newsfeed angezeigt wurden. Ich finde das verrückt: Alle finden die neue digitale Welt klasse, aber der Landwirt soll noch mit Spaten und Schaufel los und die Mutti sich gefälligst in die Küche stellen und Brei stampfen.
Und zu allerletzt, neben diesem „negativen Image des industriellen Fortschritts“, habe ich den Eindruck, dass wenn ich dann in so einer Babygruppe erzähle, was ich beruflich mache, ich sowieso nicht mehr mit einer „guten Mutter“ in Verbindung gebracht werde. Nicht nur, dass ich meinem Kind Fertignahrung serviere, nein – ich arbeite auch noch in der von der Gesellschaft am kritischsten betrachteten Industrie überhaupt.
So, was möchte ich nun? Ich wünsche mir bei dem Thema Babynahrung mehr Akzeptanz. Das mit der Akzeptanz kriegen wir doch schon ganz gut hin, wie z.B. beim Thema Väter-Elternzeit oder Vereinbarkeit Kind und Beruf. Warum wird es bei der Kinderernärung dann immer so religiös?
Wir Mütter machen tagtäglich einen klasse Job, egal ob wir beim Medien-Start-up oder im Pflanzenschutzsektor arbeiten.
Danke, dass ihr euch die Zeit genommen habt und mir zuhört. Das bedeutet mir sehr viel., Eure Lena N. aus Hamburg
Vielen lieben Dank für deinen Gastbeitrag, Lena. Eine Ergänzung noch: Wenn ihr mehr wissen wollt, rum um das Thema Pflanzenschutz, dann möchte ich euch diese Seite empfehlen. Eure Deichdeern.

Klasse Beitrag! Ich selbst bin zwar noch keine Mama, aber da ich als Betriebshelferin und Haushaltshilfe arbeite, kenne ich viele verschiedene Familien und Mütter.
Bei meinen Freundinnen sieht es immer aus wie in einem Möbelhaus Katalog und sie kochen ALLES (besonders Babynahrung) in diesem bestimmten Küchengerät. Sie kaufen nur auf dem Wochenmarkt und ausschließlich bio, vegetarisch oder sogar vegan. Da traue ich mich manchmal gar nicht etwas zu sagen. Danke, dass hier mal jemand “die Katze aus dem Sack lässt”.
PS: eigentlich schade, dass es dir unangenehm ist über deinen Beruf zu sprechen. Denn du bist wichtig für uns Landwirte. Danke für deine Arbeit 🙂
Hallo Gesa, eigentlich schade dass Du dich nicht traust etwas zu sagen. Ich kann dich allerdings gut verstehen. Ich habe mich auch immer zurückgehalten,doch mittlerweile gehe ich offensiv in die Kommunikation.
Hallo Lena,ein wirklich toller Beitrag. Ich war damals (vor ca.3 Jahren) beim ersten Gläschenkauf sehr überauscht, dass ich nur die Wahl zwischen Demeter und Bio-Ware hatte.
Verzweifelt suchte ich nach konventioneller Ware.
Ich finde es sehr schade,dass die konventionelle Landwirtschaft mit ihren hohen Standards so schlecht gemacht wird.
Das nächste ist das ewige Wetteifern, Vergleichen und Verurteilen unter den Müttern.
Jede will die Beste sein,dabei machen die meisten einen guten Job.
Ich finde es gut,dass du den Mut hast dich klar zu positionieren und dich nicht für deine Arbeit schämt, denn wir brauchen dich!
Moin Lena,
schon vor 20 Jahren war ich der Meinung, das die Hersteller der Gläschen-Nahrung, ihre Lieferanten besser kontrolieren können, als ich den Anbieter auf dem Wochenmarkt und meine Kinder sind wunderbar groß geworden. Spätestens wenn die Kinder in den Kindergarten kommen, werden die eigenen Essen-Konzepte torpediert, statt dünn Margarine und dünn Nuss-Nougat-Creme, wird seit jener Zeit dick Nuss-Nougat-Creme aufs Vollkornbrot geschmiert. Und der Gummibärchen-Tee entpuppte sich nicht als frisch aufgesetzer Früchte-Tee sondern Instant-Tee, also soetwas hätte auch ich Kleinkindern nicht zu trinken gegeben. In unsererem Bekanntenkreis waren die Kinder in verschiedenen Kindergärten von Extrem-Öko bis zu Pudding zum Frühstück geht auch, war alles vertreten, da wünsche ich den Super-Muttis viel Glück in der für sie passenden Kita einen Platz zu bekommen. Also wir konsumieren gemischt mal Bio, Regional und Konventionell und ich vertraue darauf, dass stetig an der Verbesserung der Landwirtschaft – auch für den Konsumenten gearbeitet wird und dazu gehören auch Pflanzenschutzmittel. Also lasse Dich nicht verunsichern, Du wirst Dein Kind wunderbar groß bekommen und Dein Job ist wichtig.
Gruß Gesa