Juli – die meisten Menschen verbinden diesen Monat mit dem Start der Sommerferien, dem Beginn der Ernte oder sportlichen Großveranstaltungen, etwa der Tour de France oder wie in diesem Jahr der Fußball-Weltmeisterschaft. In Südtondern ist das anders, genauer gesagt in Westre. In der beschaulichen 400-Seelen-Gemeinde findet im Juli DAS gesellschaftliche und sportliche Highlight des Jahres statt: das alljährliche Ringreiten. Um die 50 Reiter kämpfen hoch zu Ross um die Königswürde. Doch was muss man überhaupt tun, um bei einem solchen Event mitreiten zu dürfen? Ich hab den Selbstversuch gemacht.
Legitimation durch Heirat
Meine gesamte Familie ist mit dem Ringreiter-Virus infiziert. Meinen Mann kenne ich seit knapp zehn Jahren. Seit neun Jahren stehe ich jedes zweite Wochenende im Juli neben meinem Schwiegervater auf dem Westrer Festplatz und verneine die Frage, ob ich nicht auch einmal mitmachen wollen würde. Am Anfang fiel mir das „Nein, danke. Irgendwann vielleicht“ leicht. Schließlich konnte ich mich auf die Satzung berufen, die besagt, dass ich entweder mit einem Westrer blutsverwandt oder einen geheiratet haben muss. Das änderte sich allerdings vor drei Jahren, als ich durch die Heirat die „Legitimation“ erfuhr. Seitdem fällt mir von Jahr zu Jahr das „Nein, danke“ schwerer und ich hinterfrage, was mich daran hindert. Wenn ich es nicht ausprobiere, werde ich es nie erfahren, ob ich es kann oder nicht. Na dann los!
Instagram-Aufruf: Date mit einem Pferd
Ich starte eine Woche vor dem Ringreiten auf Instagram einen Aufruf, ob irgendjemand in Südtondern ein Pferd hätte, das am Tag des Ringreitens in Westre „noch einen freien Platz auf seiner Reitkarte“ hätte. Insgeheim hatte ich gehofft, dass sich niemand meldet und ich sagen kann, ich hätte alles versucht. Die Rechnung habe ich aber nicht mit den hilfsbereiten Nordfriesen gemacht. 30 Minuten später habe ich vier Angebote, unter anderem eins von der Züchterin Bente Lück aus Emmelsbüll (gerne mal auf den Link klicken, sie bietet auch Hochzeitskutschfahrten an), die mir ihre Schleswiger Kaltblutstute „Vossi“ anvertrauen möchte. Okay, dann wird es jetzt wohl ernst.
„Vossi“ und ich verabreden uns zum ersten Date. Schließlich kennen wir uns nur aus dem Internet. Das Date folgt drei Tage vor unserem ersten gemeinsamen Auftritt. Schnell ist das Eis gebrochen und wir stellen erste Gemeinsamkeiten fest, wie einen breiten Hintern und ein sanftes Gemüt. Der Rest fügt sich. „Vossi“, die normalerweise vor der Kutsche läuft, hört gerne zu, ich sabbel’ gern. Einmal aufgesessen, 20 Minuten im Kreis geritten. Passt. Bis Dienstag!
Der Look muss stimmen
Die Startvoraussetzungen habe ich erfüllt, fehlt noch das Outfit. In Westre trägt man eine weiße Reithose, ein grünes Sakko, einen Helm und Stiefel sowie eine 1,35 Meter lange Lanze. Wie gut, dass ich nichts davon im Schrank habe. Ich wende mich vertrauensvoll an den wahrscheinlich größten Ringreiterausstatter Westres, meine Schwiegermutter. Sie scannt mich von oben bis unten, langt drei Mal beherzt in den Kleiderschrank und fertig ist mein Outfit. Sitzt, passt, wackelt und hat Luft.
Showtime: König abholen
Der Tag ist gekommen. Es ist Dienstagmorgen, 6 Uhr. Kampftag. Aus meinem Küchenradio schallt der Survivor-Song „Eye of the Tiger“. Passend dazu binde ich einen doppelten Windsor-Knoten in den Beerdigungsschlips meines Mannes. Nicht für ihn, für mich. Auch die Damen tragen beim Reiten Schlips. Warum? Das kann mir keiner beantworten. Als emanzipierte Frau verbuche ich diesen Akt unter „Tradition“. Genauso Tradition ist übrigens auch die Wahl des Tages, schließlich müssen sich am Dienstag fast alle frei nehmen. „Das ist historisch gewachsen. Früher haben sonntags die Knechte mitgemacht und dienstags die Bauern. Dabei ist es irgendwie geblieben“, verrät mir jemand aus dem Vorstand.
Eine Genderdebatte führt hier niemand
9.30 Uhr – wir kommen in Westre an und es wird offiziell. Der Festtag beginnt mit dem Abholen des Königs vom vergangenen Jahr, in dem Fall der Königin Sabine Bossen. Auf ihrer Scherpe und ihrem Orden steht trotzdem „König“. Eine Genderdebatte führt hier niemand. Die Stimmung ist freudig-festlich. Dann wird es ernst: Die Königin verteilt die Liedermappen und Ehrenmitglied Bernhard Ohlsen stimmt das erste Lied an. Es folgen klassische Ringreiter-Gassenhauer wie „Die blauen Dragoner“ und „Drei Lilien“. Reitchef Hauke Nissen verrät mir mit einem Augenzwinkern, dass man nicht so genau auf den Text achten solle. Am Ende seien oft alle tot. Puh, darauf erstmal eine Cognac-Bowle. Um 11.30 Uhr, nach der „Schleswig-Holstein-Hymne“ und ein paar Kaltgetränken, reiten wir gemeinsam zum Festplatz.
Umzug durch das Dorf und 60 Mal Ringreiten
„Vossi“ kann es kaum abwarten und ist flotten Schrittes unterwegs. Mein morgendlicher Griff zu den Gartenhandschuhen meiner Schwiegermutter zahlt sich bereits aus. Im Formationsritt durchs Dorf habe ich einen super Platz ergattert. Neben mir reitet Kurt Jessen, ebenfalls auf einem Schleswiger Kaltblut. Es ist sein 60. Mal beim Ringreiten. Kein Tippfehler, 60 Jahre aktiver Ringreiter und passionierter Züchter. Bei einem Plausch stellen wir fest, dass unsere Pferde denselben Vater hatten. Hach, so ist das auf dem Dorf. Nach drei Sätzen landet man meist beim Stammbaum und Verwandschaftsgraden. In dem Fall bei denen der Pferde.
Galoppieren, Zielen und Stechen
50 Ringreiter, 30 Erwachsene und 20 Kinder und Jugendliche, finden sich auf dem Festplatz am Waldkrug ein. Vorsitzender Aage Jensen schnappt sich das Mikro von Rolf, der seit eh und je Spielmannszug und Festplatzmusik in Personalunion darstellt. Alle Reiter verteilen sich auf die fünf Galgen und ab hier kennen sicherlich die meisten das Ringreiten: Galoppieren, zielen, stechen. Meine Ringreiter-Nichten hatten sich am Freitag zuvor erbarmt, mir zu zeigen, wie ich eine Lanze halten muss. Das hatte ich bis dato noch nie gemacht. Auf dem Platz pfeift mich Süntja Andersen in ihre Obhut. Seitdem sie drei ist, reitet sie beim Westrer Ringreiten mit. Sie mag das Leben auf dem Dorf, könnte sich nichts Schöneres vorstellen. Sie gibt mir nebenbei immer wieder ein paar Tipps. Gute Tipps, denn schließlich ergattere ich 11 von 30 möglichen Ringen und belegte den 25. Platz von 30. Der erste, dem ich diese freudige Nachricht überbringen muss, ist mein Schwiegervater. Er klopft mir stolz auf die Schulter und fragt: „Und? Nächstes Jahr wieder“? Die Gemeinschaft und das herzliche Miteinander haben überzeugt. Ich lächele ihm nur zu und nicke.
Eure Deichdeern.
Diesen Artikel findet ihr auch auf shz.de. Am Wochenende ist bei uns Zeltfest – das wird ein Spießrutenlauf. Hah!

Hallo Julia, ein toller Bericht. Ich konnte mir alles so schön bildlich vorstellen. Zwar habe ich noch nie ein Ringreiten miterlebt, das gibt’s bei uns hier nicht, aber das ist bestimmt eine tolle Gaudi. LG, Birgit