Eve Champagne: Von der Reeperbahn aufs Spargelfeld

Moin!

Corona hat alles verändert. Insbesondere das Partyleben auf der Hamburger Reeperbahn. Bordelle sind geschlossen, Tänzerinnen leben von Hartz IV und selbst der berühmte Elbschlosskeller musste sich ein Türschloss einbauen, um abschließen zu können. Wir haben exklusiv mit Burlesquetänzerin Eve Champagne sprechen dürfen, die uns erzählt hat wie sie von der Edeltänzerin zur Edelgemüsestecherin wurde. Ein Artikel von Pearl Westphal.

Eve Champagne – pretty in Pink

Lange rote Haare und rote Lippen, gepaart mit einem Katzenaugen-Lidstrich und einem Blick, der Männer und Frauen gleichsam zum schmelzen bringt. Das ist Eve Champagne. Eine Burlesque-Tänzerin die auf der Reeperbahn in Hamburg auf St.Pauli, besser gesagt, dort auf der Bühne, zuhause ist. Ihre Leidenschaft ist Burlesque und sie ist die Königin, nein, der „Burlesque Rockstar“ in Olivia Jones Show Club und war eine ganze Zeit lang auch die einzige biologische Frau dort. Die in Deutschland geborene Polin sprach mit uns über ihren Weg, ihr Leben auf St. Pauli und was Spargel und Burlesque gemeinsam haben.

„Große Fresse und Entertainment-Faktor“

Ein Teil der Olivia Jones Family wurde sie durch ihre „große Fresse und den Entertainment-Faktor“. Ein glücklicher Zufall, dass Olivia gerade auch noch ein neues Gesicht für ihren Show Club suchte und so fand sich, was zusammen gehört. Eve war die erste Burlesque-Solo-Künstlerin in Deutschland im Jahre 2005 und hat sich seitdem eine große Fangemeinde und eine stetig wachsende Bekanntheit ertanzt. Ihren Weg nach St. Pauli beschreibt sie so: „In Deutschland geboren, Bremen und Hamburg sind das Tor zu Welt und St. Pauli ist der Ort um groß zu werden.“

Inspiriert wurde sie durch die Filme der 40er Jahre, durch Ikonen wie Rita Hayworth und das sammeln von Pin-Ups in Ihrer Pubertät. Dann machte Sie ihre Begeisterung und Faszination zum Beruf. Eve‘s Stil ist einzigartig. Sie mischt die Glamour-Diva mit viel Selbstironie und zeigt sich gern burschikos. Ihre Nummer des „drunken Sailors“ist legendär.

Dennoch ist Burlesque für sie nicht nur einfach nackt sein (Das wäre genau genommen Striptease, Klugscheißer-Modus off). Es ist eine Form von Feminismus und ein starkes Zeichen für Bodypositivity. Die Bühne ist ein Ort, wo sie alles sein kann. Ein Ort der Freiheit, wo sie mit glitzernden Kostümen durch Burlesque Geschichten erzählt. Egal ob politische, witzige, traurige oder einfache Lebensgeschichten.

Serengeti für bunte Vögel

Eve beschreibt ihr Zuhause liebevoll als „Serengeti für bunte Vögel“. St. Pauli ist vielen als Heimat der Sünde, Lust und wohl norddeutschlands frivolstes Fleckchen bekannt. Dennoch liegen an diesem Ort Aufstieg und Fall sehr nah beieinander. Es hat was Hollywoodartiges, hier gehen Träume in Erfüllung oder zerschellen, wie ein Schiff an der Steilküste. Doch was passiert in Zeiten wie Corona? Wie wirkt es sich auf die Leute aus, die dort leben und arbeiten, wenn auf der Reeperbahn nachts um halb eins auf einmal nichts mehr los ist?

St. Pauli zeigt sich solidarisch. Es gibt einen Zusammenhalt der so nur an ein kleines gallisches Dorf erinnert. Nur, dass sich dieses Dorf mitten im Herzen der Hansestadt befindet. Solch einen Zusammenhalt findet man meist nur in kleinen Dörfern recht ländlich gelegen. Wenn man sich hier mal an einem Abend einen „Lütt un Lütt“ zu viel einverleibt hat und sich diesen nochmal durch den Kopf gehen lässt, weiß das am nächsten morgen gleich der ganze Kiez. Ein Buschfunk der dem dörflichen in nix nachhängt.

Dennoch ist das Öko-System in diesem kleinen Mikro-Kosmos doch fragiler als man glaubt. Denn ohne Publikum, haben die Obdachlosen, „Druffies“ und Schnorrer auch keine Möglichkeit an Geld zu kommen. Deshalb sammelt Eve zusammen mit Freunden Lebensmittel vom Rewe, die sonst weggeworfen würden und bereiten daraus Mahlzeiten für die Obdachlosen zu oder packen kleine Pakete mit Lebensmitteln und Hygiene-Artikeln. Es ist wie in einem Dorf. Jeder hilft dem anderen, wenn irgendwo Not am Mann oder an der Frau ist. Denn, es kennen sich alle hier mit Namen und Olivia Jones ist ihre Bürgermeisterin und Mutti in Personalunion.

Diese solidarische und wirklich schöne Aktion hat sein Hauptquartier in keiner anderen Kneipe, als in einer von St.Pauli sagenumwobensten und härtesten. Der Elbschlosskeller ist eine Kneipe, die für viele Abstürze bekannt ist und sogar medial Aufmerksamkeit bekam, da diese das erste Mal seit vielen, vielen Jahren auch dicht machen musste. Der Elbschlosskeller hat allerdings nur ein Schloss und das nicht in der Tür.

„Das Publikum fehlt hier vielen“, sagt Eve. „Dabei ist es nicht nur der Applaus, sondern vorallem die Geschichten der vielseitigen Menschen, die hier sonst jeden Tag ein und aus gehen“, führt sie weiter aus. Die vielen traurigen und schönen Geschichten von Menschen, die sich begegnen und deren Wege sich hier zum ersten Mal kreuzen. Mittlerweile brauche man aber neuen Input. Zu lange sieht man schon die selben Gesichter und hört die selben Geschichten. Eine Plünderung, wie zu Zeiten der Wikinger, um an frische Gesichter und Geschichten zu kommen, stand kurze Zeit im Raum, wurde aber wegen Undurchführbarkeit schnellstens wieder verworfen, erzählt sie und lacht dabei herzlich.

Was passiert, wenn eine Burlesque-Tänzerin und Latex-Modelabel-Inhaber Langeweile haben?

Dennoch musste man ja irgendwas tun. Und was passiert, wenn eine Burlesque-Tänzerin und ein Latex-Modelabel-Inhaber zu viel Langeweile haben? Richtig, sie gehen Spargel stechen.

Spargel und Burlesque sind ja nun einmal beides sehr sexuelle Dinge. Sie sind beide nicht weit verbreitet und nur eine begrenzte Zeit verfügbar, was beide mit der Aura des höchst exklusiven umgibt. Hier trifft das Juwel des Gemüses auf das Juwel der Entkleidungskunst.

Die Grand Dame des Spargels
Fotos: Randy Rocket

Eve, in ihrer Jugend als „Spargeltarzan“ bekannt, ist Tochter eines polnischen Seemanns. Eine Frau die trinken, aber auch anpacken kann. Als bekennender Outdoor-Freak war sie sofort dabei, als ein Freund, Max Kohl (Besitzer des Fetisch-Latex-Modelabels „Inner Sanctum“ und ebenfalls bekennender Outdoor-Fan), fragte, ob sie mit Spargel stechen gehen würde. Er hatte im Fernsehen einen Bericht über die fehlenden Erntehelfer gesehen und dass man Spargelreihen jetzt auch mieten könnte. So klapperte er alle Spargelhöfe in der Umgebung ab, bis er beim Hof Oelkers, nahe Buchholz in der Nordheide, schlussendlich noch 350 m Spargelreihe ergattern konnte.

Für Eve war das Spargel-Business nicht neu. Erstmal sind ihr beruflich phallische Objekte durchaus sehr vertraut, aber sie kennt es von früher, denn ihr Vater fuhr früher mit ihr auf seiner Harley durch die Spargelfelder in der Nordheide. Er war als Übersetzer für die dort arbeiteten Polen tätig und sah regelmäßig nach, ob alle Arbeiter gut versorgt sind. Eve durfte damals schon erste Erfahrungen im Spargel stechen sammeln. So war es auch kein Wunder, das sie als es losging sagte: „Platz, ihr Kartoffeln! Die Polin zeigt euch, wie man Spargel sticht.“

„Platz, ihr Kartoffeln! Die Polin zeigt euch, wie man Spargel sticht“

Doch wie bekommt man St.Pauli jetzt auf‘s Feld? Nun ist es so, dass wenn man in Hamburg auf der Reeperbahn lebt und arbeitet nicht unbedingt ein Auto hat. Einige haben nicht mal einen Führerschein. Einige haben einen, aber kein Auto. Andere wiederum haben ein Auto, aber keinen Führerschein (mehr oder eben gerade jetzt nicht). Die Lösung war ein Timetable, wo genau festgemacht wurde wann wer fährt und wie viele Leute mitkommen können. Da konnte sich dann jeder nach Herzenslust so oft eintragen, wie er oder sie mochte. Es gab pro Woche 3 feste Tage an denen gestochen wurde. Dienstags, Freitags und Sonntags war jeweils Stichtag. In der Zeit vom 12.04.2020 (Einweisung Spargelstechen) bis jetzt war fast ganz St. Pauli im Schichtwechsel einmal Spargel stechen.

Auf dem Feld wurde der bunte Trupp von den anderen Spargelstechern gefeiert. Das „Reeperbahn-Spargel-Team“ wurde von den anderen oft als Stimmungskanonen bezeichnet und war von Anfang an sehr willkommen. Aber eine Sache durfte natürlich nicht fehlen. Havanna-Cola war ein stetiger Begleiter, auch wenn man beim Regen Angst hatte, dass er verwässern könnte.

Der Rekord lag 62,5 kg Spargel an nur einem Tag. Dieser Spargelüberschuss führte dazu, dass es teilweise sehr dekadente Spargelsuppe (gekocht aus den Köpfen!) gab. Das schafft man nur, wenn gutes Teamwork da ist und jeder tut, was er am besten kann. Das Ziel war es jedes Mal die 350 Meter Spargelreihe durch zu bekommen. Also gruben, die Herren mit den starken Händen den Spargel aus und die Mädels haben gestochen oder die Löcher wieder gestopft. Dabei wurde die Klaviatur der Doppeldeutigkeiten mehrfach virtuos rauf und runter gespielt. („Gib mir mal die dicke Stange!“ oder „Die dicksten sind nicht immer die leckersten“) Als Bonus oben drauf, weiß die ein oder andere Domina jetzt mehr über den pH-Wert von Spargel, die richtige Dammhöhe und den Preis pro Quadratmeter Abdeckfolie, als man auf den ersten Blick vielleicht denkt.

Nach knapp 2 Monaten Spargel stechen und vorallem essen, ist die Reisegruppe „Spargel bizarre“ froh, sich hoffentlich ganz bald wieder ihrem eigentlichen Hauptaugenmerk widmen zu können. Der Bauer wird auf jeden Fall zu einer von Eve‘s Shows und Kieztouren kommen, und sie? Sie wird nächstes Jahr mit ihren Freunden auf jeden Fall wieder kommen zum Spargelstechen. Dann aber keine 350 Meter sondern 700 Meter Spargelreihe.

PS: Spargel am liebsten nochmal so richtig schön mit Butter in der Pfanne anrösten. Oder direkt gegrillt genießen. Da tanzt der Gaumen fast so schön wie Eve Champagne.

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