Moin,
Heute haben wir ein Interview mit Annalina Behrens von der Erzeugergemeinschaft Bio-Hähnlein für euch. Annalina Behrens und ihre Schwester Leonie Behrens haben sich gemeinsam das Konzept von Bio-Hähnlein ausgedacht und sind dadurch als Kükenretterinnen bekannt geworden.Annalina ist für uns keine Unbekannte. Sie hat gemeinsam mit Julia an der NDR-Heimatküche teilenommen. Wie sie zu der Idee kamen männliche Küken mit aufzuziehen und wie man ohne ein klassisches Agrar-Studium trotzdem große Dinge bewegen kann, haben wir für euch herausgefunden.

Wie seid ihr auf die Idee gekommen die männlichen Küken mit aufzuziehen?
Annalina: Wir sind Mitte 2012 mit dem Projekt gestartet und Pioniere auf diesem Gebiet. Erst auf der Bio-Fachmesse 2013 erfuhren wir, dass der Demeter-Bauckhof fast zeitgleich mit der Aufzucht männlicher Küken angefangen hat und die „Bruderhahn“-Initiative gegründet hat.
Landwirtschaft stand bei uns allerdings nicht an erster Stelle bei der Berufswahl. Ich habe nach der Schule BWL mit dem Schwerpunkt Marketing studiert, meine Schwester Leonie Wirtschaftspsychologie mit dem späteren Schwerpunkt Unternehmensführung. Im 5. Semester hatte ich eine Gründungsidee, eine Suchmaschine für Allergiker, leider war die Idee ihrer Zeit voraus, aber daraus resultierte mein erster Kontakt mit der Lebensmittelindustrie.
Mein Vater fragte mich, nachdem ich meine Gründungsidee aufgegeben hatte, ob ich es mir eventuell vorstellen könnte den Hof zu übernehmen. Dafür machte ich dann Praktika auf Geflügelbetrieben und musste dort dann auch die männlichen Küken vergasen. Das war der Moment, wo ich dachte: „Das will ich nicht, da muss es doch eine andere Lösung für geben.“
Gott sei Dank, bin ich bei meinem Vater auf offene Ohren gestoßen, was die Idee der Aufzucht von männlichen Küken anging und so haben wir im August/September 2012 unsere ersten 5.000 Hähne beim Züchter mit bestellt.

Wie groß ist euer Hof und mit wie vielen Leute arbeitet ihr dort zusammen?
Im Schnitt haben wir zwischen 9.000 und 12.000 Tiere hier in den Ställen. Das klingt natürlich immens, aber hier in Mecklenburg-Vorpommern ist alles etwas größer, denn wir haben viele alte Ställe aus DDR-Zeiten modernisiert und umgebaut und nutzen diese.
Wir sind in unserer Erzeugergemeinschaft ca. 270 Kollegen aus allen Bereichen. Wir haben viele Quereinsteiger, das ermöglicht uns immer andere Blickwinkel. Wir selber haben ja auch keine Landwirtschaft studiert. Darüber hinaus haben wir eine eigene Schlosserei, LKW-Fahrer und vieles mehr. Unser Brutmeister zum Beispiel ist Landwirt, ist früher für Molkereien LKW gefahren und hat dann bei uns die Betreuung der Biogasanlage übernommen. Als wir dann unsere eigene Bio-Brüterei aufgebaut haben, haben wir uns gefragt, ob wir die Stelle intern vergeben können. Da man dafür ein großes technisches Verständnis und Empathie benötigt, haben wir dann den besagten Kollegen gefragt. Der hat dann einige Fortbildungen gemacht und ist nun unser Brutmeister.
Unseren Verwaltungssitz haben wir in einer Gutsdomäne, die schon früher landwirtschaftlich genutzt wurde und dort sitzen wir mit 35 Kollegen. Einen klassischen Familienhof, so wie die meisten ihn kennen haben wir nicht. Mein Vater hat einen Legehennen- und einen Aufzuchtbetrieb mit dem die Erzeugergemeinschaft gemeinsam mit 4 anderen Höfen gegründet wurde. Mein Vater hat damals die anderen Höfe mit Küken versorgt. Meine Schwester hat bald auch ihren eigenen Betrieb und so kann sich jeder von uns so ausprobieren wie er möchte.

Wie läuft das bei euch im Team ab?
Wir sind ja ca. 270 Kollegen innerhalb der Erzeugergemeinschaft, das bedeutet das jede Farm sein eigenes Team hat. Wir unterstützen uns gegenseitig, falls mal irgendwo Hilfe gebraucht wird. Die Work-Life-Balance ist bei uns auch gegeben, da man bei uns nur jedes zweite oder dritte Wochenende arbeiten muss.
Bei uns im Team gilt das Motto „geht nicht, gibt‘s nicht“. Wir haben Spaß im Team an neuen Ideen zu tüfteln, wie zum Beispiel bei der Bio-Brüterei. Viele sagten uns, dass das nicht funktionieren wird, da die Baustruktur des Gebäudes dafür nicht passend ist, da wir dafür einen leerstehenden ehemaligen Aldi-Markt gekauft haben. Mit einigem Aufwand und viel Handarbeit haben wir das dann doch realisiert bekommen.
Wir haben es aber auch geschafft, die Ackerbohne, eine alte DDR-Pflanze, wieder zu beleben und für die Tiere als Futtermittel nutzbar zu machen. Die Proteinversorgung der Tiere wird bei uns auch durch den Anbau von Lupinen, Sojabohnen und Sonnenblumen sichergestellt.
Aus den Sonnenblumenkernen machen wir in eigener Pressung einen Sonnenblumenkuchen, der aus den Kernen und etwas Öl besteht. Wenn Sonnenblumenöl übrig bleibt, verkaufen wir das an andere Futtermühlen. Das schöne an den Sonnenblumen ist natürlich, dass die im Sommer ganz wunderbar blühen, aber auch die Imker in der Umgebung freuen sich, da die Sonnenblumen pollenecht sind.

Wie rechnet sich die Aufzucht der männlichen Küken?
Die Aufzucht der Hähne wird querfinanziert. Unsere Hähnlein-Eier sind etwas teurer als normale Hühnereier und dieses mehrbezahlte Geld fließt dann in die Aufzucht, die kostenintensiver ist, als die von normalen Hähnchen. Die Hähne werden bei uns dann 4 Monate alt und sind damit drei- bis viermal so alt wie ein normales Masthähnchen, bevor es für sie zum Schlachter geht.
Die Hähne leben bis dahin in Junggesellen-Gruppen zusammen, wo sie sich gegenseitig spielerisch vieles beibringen. Dann plustern sie auch mal das Gefieder auf und gucken sich herausfordernd in die Augen und wer zuerst wegguckt, hat dann verloren. Dann laufen sie manchmal noch etwas hintereinander her und dann ist gut. Das funktioniert sehr gut innerhalb der reinen Jungsgruppen und ist auch ein tolles Bild, wenn sie dann über die Wiese laufen und krähen.
Einige Hähne dürfen auch bis zu ihrem Lebensende bei uns bleiben. Das sind dann unsere so genannten Leithähne und von denen haben wir ca. 200 Stück pro Stall. Jeder Hahn verfügt über einen Harem von ca. 50 Hühnern. Die Hühner formen über den Hahn so einen Verbund.
Wie sieht ein typischer Tag auf eurem Betrieb aus?
Auf der Farm beginnt der Tag um 07.00 Uhr. Man duscht und zieht sich im Hygienebereich die Arbeitskleidung an, die von uns gestellt wird. Dann macht man den ersten von drei täglichen Stallrundgängen und verteilt dabei das Einstreugetreide, welches die Tiere zum picken und scharren motiviert. Das Huhn möchte am Tag ca. 5.000 mal picken und scharren und legt dabei viel Instinktverhalten an den Tag, denn das Huhn ist der letzte noch lebende Verwandte des T-Rex.
Um 10.00 Uhr machen wir bei den Legehennen normalerweise die Schotten auf, damit sie über die Wiese laufen können, leider geht das derzeit wegen der Geflügelpest nicht. Pro Farm haben die Hühner sonst zehn bis 15 ha Auslauffläche zur Verfügung. Abends kommen die Tiere von alleine wieder rein, da Hühner total auf Licht reagieren. Nach Einbruch der Dunkelheit lassen wir deshalb noch eine Stunde lang das Licht im Stall an, bis alle wieder drinnen sind und dann gehen die Schotten, einige schon automatisch, einige noch händisch, wieder zu.
Nach dem Rundgang, werden die Eier eingesammelt und es wird geguckt, ob genug Wasser aus den Tränken läuft, die Fütterung funktioniert und ob allgemein alles im Stall in Ordnung ist. Dann geht es in die Packstelle und die Sortiermaschine wird angemacht, dabei werden die Eier durchleuchtet und aussortiert. Mit dem Durchleuchten kann man Lichtsprünge, kleine Haarrisse, in den Eiern erkennen und diese dann rausnehmen, da diese beim Transport höchstwahrscheinlich kaputt gehen würden. Diese werden dann als zweite Klasse deklariert.

Die intakten Eier werden dann mit einem Code bedruckt, gewogen und von S bis XL sortiert und kommen anschließend in die Verpackung. Deckel drauf, Etikett dran kleben und dann werden sie in Eierkartons auf Paletten gestapelt. Wir schreiben natürlich noch die Lieferscheine und die Dokumentation. In der Dokumentation steht genau drin, wie viel Futter und Wasser jedes Tier hatte und wie viele Eier in der Fuhre sind. Dann wartet einer der Kollegen auf die Spedition, die die Eier abholt und stellt eine Waschmaschine voller benutzter Arbeitskleidung an. Hier wird sich abgewechselt, damit jeder mal länger arbeitet oder früher Feierabend hat.
Habt ihr einen Zukunftswunsch für euren Betrieb?
2018 haben wir schon einen wichtigen Meilenstein erreicht, denn da haben wir zu jeder Henne einen Bruderhahn aufgezogen. In der Erzeugergemeinschaft haben wir insgesamt schon eine Million Hähne aufgezogen. Dennoch hoffe ich, dass viele den Kassenbon auch als Stimmzettel begreifen und dass die Konsumenten mit ihrer Kaufentscheidung tatsächlich Macht ausüben können.

Finanziell darf aber auch nicht alles beim Landwirt hängen bleiben, da bräuchte es auch mehr Geld im tierischen Bereich.
Für uns als Team wünsche ich mir, dass wir noch dichter zusammenwachsen und dass wir weiterhin Stolz auf unsere Erzeugergemeinschaft sein können. Ich hoffe auch, dass sowohl Corona als auch die Geflügelpest bald vorbei sind und wir vielleicht im Juli eine Gartenparty feiern können, da unsere Erzeugergemeinschaft dann nämlich 18 Jahre wird.