Heimat. Ein großes Wort, das jeder für sich anders interpretiert. Für die einen ist es ein Ort, für die anderen ein Gefühl und für manche sind es Events, die dieses wonnige Gefühl auslösen. Das Ringreiten in Westre ist so ein gesellschaftliches Rencontre der Extraklasse. Gelebte Heimat – und zwar generationsübergreifend. Selten erlebt man so ein harmonisches Miteinander von Alt und Jung. Glaubt ihr nicht? Dann möchte ich euch mal ein Gespür für dieses Event geben.

Es ist ein bedeckter Sommertag. Aus der Ferne erklingt stramme Marschmusik, die immer näher rückt. Der „Spielmannszug“ besteht aus vier Boxen, die fachgerecht mit Tüddelband auf einem Fahrradträger am Heck eines Ford Mondeos befestigt wurden. Erster Gang, Kupplung schleifen lassen und los. Rolfs Platzmusik setzt den Blinker rechts in Richtung Festplatz und führt den Korso an. In seinem Rückspiegel sind 52 Reiter hoch zu Ross, die durch das beschauliche Westre in Richtung Festplatz schreiten. Auf dem Platz herrscht schon ausgelassene Stimmung. Wer keinen freien Platz mehr auf den Bänken hinter der Absperrung ergattert, der fährt mit dem PKW rückwärts an die Längsseite ran. Kofferraum auf, Klappstuhl raus. Die „Logenplätze“ sind somit für die Oldies auch eingerichtet.


Von dort aus können sie Enkel und Urenkel am Galgen 6 anfeuern. A propos Galgen 6 – Bis einen Tag vor dem Event standen hier nur fünf Galgen. „Erfreulicherweise haben wir mit 30 Kindern und 22 Erwachsene so viele Anmeldungen, das wir spontan noch einen sechsten Galgen dazugebaut haben“, verrät der Vorsitzende Aage Jensen mit einem Lächeln im Gesicht.

Kampfrichter Bernhard Olsen sitzt in einem Gartenstuhl an Galgen 1 und führt Protokoll, wer einen Ring gestochen hat und wer nicht. Mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck sagt er: „Überall wird es weniger mit den Teilnehmern, in Westre mehr. Und das auf einem Dienstag! Die Menschen nehmen sogar Urlaub für diesen Tag. Richtig klasse!“

Hans-Jürgen und seine Arabella – zusammen 100 Jahre alt
Zack, wieder wurde ein Ring mitgenommen. Es ist Hans-Jürgen Johannsen auf seiner Holsteiner Schimmelstute Arabella. Beide sind zusammen unglaubliche 100 Jahre alt – Johannsen 78, sein Pferd 22. Es ist seine 56. Teilnahme am Westrer Ringreiten auf seinem dritten Pferd. Auf Nachfrage, ob er nächstes Jahr wieder dabei sein werde, sagt er mit einem verschmitzten Grinsen: „Wenn es nach mir ginge ja, aber meine Frau hat ein wenig Angst um mich.“ Er reitet weiter und stellt sich mit seiner Arabella wieder in die Warteschleife.

Nach 15 Durchgängen ist Pause auf dem Festplatz. Alle strömen in den angrenzenden Waldkrug. Bei Mandelhörnchen und Erdbeerkuchen wird geplauscht, was das Zeug hält. Große Kinderwagen und Rollatoren verdeutlichen, wie generationsübergreifend das Event ist. Es gibt in diesem Jahr sogar einen besonderen Service: Die älteren Semester, die den Waldkrug nicht mehr fußläufig erreichen, werden im Rollstuhl vom Platz in den Saal geshuttelt. Soll ja schließlich jeder in den Kuchen- und Klönschnackgenuss kommen. Pragmatismus at its best. Nach dreimaligem Bescheid geben auf dem Saal, dass es nun wirklich weiter geht, verlässt auch der Letzte seinen Stuhl und begibt sich wieder zum Reitplatz.
Die „zweite Halbzeit“ verläuft wie gewohnt: Rolfs Platzmusik untermalt das Stechen mit einem musikalischen Potpourri aus „Summer of 69“ und „die rote Sonne von Barbados“, am Naschistand kaufen die Omas ihren Enkeln fleißig bunte Tüten und die letzten Lose für die Tombola werden an den Mann gebracht. Ringreiter-Königin wird in diesem Jahr Nadja Carstensen. Sie beerbt Maik Pinnau, der im vergangenen Jahr die goldene Scherpe erstoch.
Innovation auf dem Reitplatz: Der Magnetschläger
Doch Pinnau hat nicht nur die Scherpe mitgebacht, sondern auch ein Geschenk für die Ringsammler am Galgen. Er hat einen Magneten mit Griff geschweißt, der an einen Golfschläger erinnert. Bernhard Olsen führt ihn mit einem gekonnten Ausfallschritt vor, als Reitchef Hauke Nissen den Ring verpasste und dieser herunterfiel.

Olsen hält den Magnet ins abgesperrte Feld unterm Galgen und zack – da ist der Ring. „So brauchen wir uns nicht mehr bücken. Eine tolle Innovation und eine echte Geste von Maik, das er an uns denkt und uns mit diesem „Magnetschläger“, der noch keinen richtigen Namen hat, überrascht hat“, wertschätzt Olsen das Geschenk des Alt-Königs.

Der „Magnetschläger“ ist ein schönes Symbol für das Westrer Ringreiten. Es gibt wenig Veranstaltungen, die so anziehend sind, wie dieses Ringreiten. Es ist für Alt und Jung etwas ganz Besonderes: In Westre ist Heimat nicht nur ein Begriff, hier wird sie gelebt.
Eure Deichdeern
Moin Julia, Überschrift passt voll gut zu unserem Frauenadventskalender 2019 Motto:”Heimatliebe”. Thema jetzt schon bekannt gegeben, damit man lange genug damit schwanger rumlaufen kann.
Tolle Bericht, ich liebe Ringreiten. Hatte meiner wilden Lütten damals auch ein Geschirr Umgebungen mit Hundeleine. Hatte ‘n Büschen Angst um meinen Wirbelwind. Ich finde es jedesmal genial, das die da überhaupt treffen.
Liebe Grüße aus Bayern sendet eine Dithmarschen.
Meike
Oh mann, Dithmarscherin