Wenn aus Trauer (Körper-)Kunst wird

Moin,

Schon lange haben Tattoos den Sprung in die Mitte der Gesellschaft geschafft. Vorbei ist die Zeit des „verpönt seins“ oder der Vorwürfe, so etwas würde sich insbesondere für eine Dame nicht „schicken“. Doch gibt es eine Tattoo-Art, die Tattoo-Gegner und Liebhaber eint. Es ist das Trauertattoo. Vielleicht haben einige von euch ja selber eines. Dabei ist es egal, ob es für einen geliebten Menschen oder ein geliebtes Tier gestochen wurde.

Doch was macht dieses Tattoo so besonders?

Es ist die Kraft und die Bedeutung die ihm innewohnt. Ein Trauertattoo erinnert an die verstorbene Person oder das verstorbene Tier, welche/s einem aus verschiedensten Gründen nahe gestanden hat. Es ist kein Zeichen von noch anhaltender tiefer Trauer oder ähnliches. Es ist ein ewiges Symbol der Liebe, das man nie wieder weggeben muss. Es bleibt bei einem, ein Leben lang. Es ist da in wunderschönen, freudigen Momenten, aber auch dann wenn wir traurig sind oder uns schlecht fühlen. Es ist ein Talisman, der einem Kraft gibt und das Tag für Tag. Es fühlt sich für viele an wie eine Brücke zu einem Menschen oder einem Tier, der/das nicht mehr da ist. Man sieht es im Spiegel oder einfach so zwischendurch am Körper und muss unweigerlich lächeln, da man sich wieder an die schönen Momente mit dieser Person oder diesem Tier erinnert.

Warum bewegt ein Todesfall manchmal auch „Tattoo-Gegner“ dazu sich unter die Nadel zu legen?

Der bekannte Kriminalpsychologe Dr. Mark Benecke begründete den abrupten Sinneswandel mal damit, dass Menschen sich mehr trauen, wenn sie etwas existenzielles erlebt hätten. Manchmal kann man sowas auch im Sport beobachten. Zum Beispiel im Gewichtheben bei Olympia 2008. Der deutsche Gewichtheber Matthias Steiner gewann Gold und widmete diese Goldmedaille seiner verstorbenen Ehefrau. Viele Sportler wachsen in Trauer über sich und ihre eigentlichen Leistungen hinaus.

So verhält es sich auch mit der plötzlichen Bereitschaft sich tätowieren zu lassen. Denn das plötzliche Ableben eines geliebten Menschen oder Tieres reißt ein tiefes Loch in unser Leben. Es fehlt auf einmal jemand, der vorher immer für uns da war. Wir werden uns im selben Moment aber manchmal auch unserer eigenen Endlichkeit bewusst. Um der Trauer ein Ventil zu geben und eine Art Brücke oder Verbindung zu den verstorbenen Menschen oder Tieren zu behalten, wird oft der Weg ins Tattoo-Studio eingeschlagen.

Gibt es bestimmte Motive, die oft gewählt werden oder variiert das?

Rein aus meinem Gefühl ist die Antwort: „Teils, teils.“ Es gibt viele die sich Namen und oder Daten tätowieren lassen. Einige lassen sich wiederum ein Porträt stechen. Wiederum andere vermischen die eben genannten Dinge mit Motiven, die für die verstorbene Person oder das verstorbene Tier wichtig waren. Da sind der Fantasie absolut keine Grenzen gesetzt. Da wird das geliebte Medaillon der Oma oder ein Symbol wie ein Anker für einen zur See gefahrenen Opa zum Motiv der Wahl. Trauertattoos sind genau so verschieden wie die Menschen für die sie stehen, aber dennoch gibt es ein paar Dinge, die immer wieder zu sehen sind, wie etwa Namen und Daten.

Tattoo für ihren Großvater, der 2010 plötzlich verstarb. Foto: Pearl Westphal

Wie kommt es dass, es immer mehr Trauertattoos gibt?

Ein immer größer werdender Teil der Bevölkerung lässt sich tätowieren und es bleibt meistens nicht bei einem Tattoo. Denn tätowieren kann durchaus süchtig machen. Aus einem Tattoo am Arm wird später ein kompletter „Sleeve“ (weil er komplett tätowiert ist, der Arm also komplett bedeckt ist wie bei einem Pulloverärmel) oder aber aus dem kleinen Tattoo am Rücken wird über die Jahre ein „Backpiece“ (Ein Tattoo, welches den ganzen Rücken bedeckt).

Unter der steigenden Anzahl der tätowierten befinden sich dementsprechend auch mehr Menschen, die ein Trauertattoo besitzen. Um die Relevanz dieses Themas noch genauer zu verstehen, gibt es seit 2017 die Wanderausstellung „Trauertattoo – unsere Haut als Gefühlslandschaft“ von Karin Hartig und Stefanie Oeft-Geffarth, die sich diesem Phänomen ausführlich widmen. Sie haben sogar ein Buch geschrieben über die Wanderausstellung mit Bildern der Tattoos und den Geschichten zu den Tätowierungen.

Aber tätowieren tut doch weh?

Das kann man so pauschal nicht sagen. Es gibt Körperstellen, die dem einen mehr weh tun als dem anderen. Das ist ein völlig subjektives Empfinden, dass auch nach Tagesform variieren kann. Aber in Zusammenhang mit einem Trauertattoo hat der Schmerz auch etwas heilsames. Man macht das Tattoo ja in Gedenken für jemanden und da ist die Motivation schon eine ganz andere.

Der Schmerz wird so etwas wie ein letztes Feuer durch das man auf dem Weg der Trauer gehen muss. Denn wenn das Tattoo fertig ist, fühlt es sich an, als hätte dir jemand einen riesigen Stein von den Schultern genommen, so habe ich das damals empfunden. Es war als wäre ich aus einem bleischweren Nebel gekommen und konnte endlich wieder Farben sehen und aufrecht stehen. Ich würde es deshalb mal vorsichtig als einen Schmerz oder einen Prozess bezeichnen, der einen ein ordentliches Stück aus der Trauer und zurück hinein ins Leben bringt.

Sollte sich also jeder, der in Trauer ist, ein Tattoo stechen lassen?

Ein Trauertattoo ist immer noch ein Tattoo. Es ist eine Verletzung der Haut, die auch ziemlich weh tun kann. Man trägt es sein Leben lang mit sich. Deshalb sollte man sich, wie immer bei einem Tattoo, gut überlegen ob man das wirklich will. Das gleiche gilt für das Motiv, aber auch für den Tattookünstler.

Man sollte über viele Aspekte nachdenken, bevor man in ein Studio geht. Wie soll das Motiv aussehen? Wenn man vielleicht nicht selber zeichnen kann, kennt man vielleicht jemanden im Freundes-/Verwandten-/Bekanntenkreis der das kann oder gibt es Online eventuell ähnliche Designs? Passt der Künstler zu dem was ich vorhabe oder sollte ich mich vielleicht nach einem anderen, passenderen Künstler umsehen? Viele Tattoo-Künstler haben nämlich eine bevorzugte Stilrichtung in der sie sich besonders wohlfühlen und dementsprechend natürlich auch besonders gut tätowieren können. (Z.B. Portraits, Maori, Realistic, Black and Grey, japanisch oder Comic)

Die Frage, ob man der Typ für ein Tattoo ist, stellt sich für mich bei einem Trauertattoo nicht. Egal, ob deine Freunde oder Familie das dir gegenüber äußern, wenn du es wirklich aus tiefstem Herzen willst, tu es. Es ist dein Körper und dein Trauerprozess und der ist bei jedem Menschen anders und das ist auch gut so.

Pearl Westphal aus dem Deichdeern-Redaktionsteam

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