Über Zuckertechnologie und Aufklärungsarbeit: Ein Interview mit Christian Voß

Titelbild: SDTB / H. Hattendorf

Christian Voß hat seine Karriere dem Zucker gewidmet. Mit uns hat er über Sondersorten gesprochen, erzählt, was ihn während seiner Arbeit als Zuckerfabrikdirektor angetrieben hat und heute noch antreibt und welche erstaunlichen Dinge mit Zucker durch moderne Forschung möglich sind.

Herr Voß, wie ist es dazu gekommen, dass Sie Karriere in der Zuckerbranche gemacht haben?

Mit Zuckerrüben hatte ich schon als Kind zu tun. Mein Opa hat Zuckerrüben angebaut und mein Vater hat den Anbau fortgeführt. Ich habe sie damals verflucht, weil wir Kinder die Rüben auf dem Feld verziehen mussten – also einzelne Pflanzen ausziehen, damit die anderen mehr Platz zum Wachsen hatten. Das war sehr anstrengende Arbeit. Auf der anderen Seite hat meine Mutter mit dem Rübenzucker den besten Butterkuchen gebacken und es kamen deshalb immer viele Kinder zu uns. Es war also eigentlich eine Hass-Liebe zwischen den Zuckerrüben und mir.
Nach meiner landwirtschaftlichen Ausbildung und dem Studium in Zuckertechnologie in Berlin habe ich in einem Ingenieursbüro in Braunschweig gearbeitet und dort Projekte mit holländischen Firmen betreut. Ursprünglich wollte ich den väterlichen Hof im Nebenerwerb weiter bewirtschaften. Dann sind aber zwei Sachen passiert: Mein Bruder hat den Hof übernommen und Frankenzucker [heute Südzucker] hat mich angesprochen. So bin ich als Leiter der Zentral-Abteilung im Zuckerwerk in Ochsenfurt gelandet. 1986 habe ich die Werksleitung der Fabrik in Warburg übernommen und vier Jahre später die im hessischen Wabern.


Was war das Besondere an der Warburger Fabrik?

Die Fabrik in Warburg wurde in Bezug auf die Produktionsmenge von den großen Zuckerfabriken wenig beachtet, denn sie war das kleinste Werk in Deutschland. Genau das ist aber in bestimmten Dingen ein Vorteil gewesen. Wir haben in Warburg unter anderem den Zuschlag für die Verarbeitung von Biorüben bekommen und waren viele Jahre lang das einzige deutsche Werk, das Biozucker produziert hat. Die großen Werke müssen mit einer enormen Menge an Rüben gefüttert werden, bis der erste Zucker gewonnen werden kann. Je kleiner die Einheiten sind, zum Beispiel die Extraktionstürme, desto besser ist bereits bei geringeren Mengen die Ausbeute.
Weil an jeder Stelle der Produktion sichergestellt sein muss, dass es keine Vermischung der Biorüben und des -zuckers mit den konventionellen gibt, haben wir den Biozucker vor dem Beginn der eigentlichen Kampagne produziert. Angefangen haben wir mit drei Tagen und zum Schluss haben wir zwei Wochen lang Biorüben verarbeitet und in der Zeit versucht, so viel kristallinen Biozucker wie möglich herzustellen. Als wir begonnen haben, gab es noch keinen Biozucker aus Rüben und es ist auch nach wie vor ein Nischenprodukt, aber der Absatz wird mehr.

In Warburg wurde auch brauner Zucker hergestellt. Was hat es damit auf sich?

Das Verfahren zur Herstellung von braunem Zucker aus Rübenzucker wurde in Ochsenfurt entwickelt. Man löste dafür den weißen Zucker wieder auf und versetzt diesen Sirup mit anderen Sirupen aus der Zuckerherstellung, um die Farbe und den Karamellgeschmack zu erzeugen, sowie ursprünglichen Bestandteilen der Rüben, um sie als mineralische Komponente wieder zuzuführen. Wir haben 2.000 Tonnen braunen Zucker in unterschiedlichsten Größen hergestellt. Tatsächlich ist es nicht ganz einfach, dass man die Produktion des braunen Zuckers mit den vorhandenen Anlagen macht, was uns aber in Warburg ganz gut geglückt ist. Wir haben immer vor und am Ende der jährlichen Kampagne und bei Bedarf sogar im Sommer produziert, wenn die Nachfrage nach braunem Zucker besonders hoch war.

Die 2019 geschlossene Zuckerfabrik Warburg mit dem Desenberg im Hintergrund. Foto: Hubert Rösel

Heutzutage wird der aufgelöste weiße Zucker manchmal auch mit Zucker-Couleur versetzt, um braunen Zucker herzustellen. Zucker-Couleur sind natürliche Farbstoffe, die auch aus der Zuckerrübe kommen und sehr farbintensiv sind. Geschmacklich gibt es da aber keinen Unterschied mehr, das kann jeder zuhause probieren, indem er Zucker in der Pfanne karamellisiert und dann mit Wasser ablöscht.
Zuckertechnologisch war die Herstellung von Biozucker und braunem Zucker hoch spannend. Wir haben außerdem sehr groben Teezucker produziert. Mit den Sondersorten war es betriebswirtschaftlich sehr reizvoll. Wir haben in Warburg immer alles ausprobiert und wenn es interessant war, haben wir es weiterverfolgt. Wenn man Sondersorten herstellt, handelt es sich um filigrane Zuckertechnologie. Die Belegschaft hier war stolz, dass wir Biozucker, braunen Zucker und andere Sondersorten produziert haben und die großen Werke damals „nur“ weißen Zucker. Da war sehr viel Engagement mit dabei.

Sie sind Vorstandsmitglied des Fördererkreises Zucker-Museum. Die Ausstellung selbst ist seit 2015 im Deutschen Technikmuseum in Berlin zu sehen. Was kann man dort entdecken?

Da muss ich weit vorne anfangen. Früher war das alte Zucker-Museum Teil der Ausbildung des Studiums der Lebensmitteltechnik und in einem Unigebäude untergebracht. So sollten die Studierenden begreifen, wie es in der Rüben- und Rohrindustrie zugeht und -ging. Wenn man diese Dinge nur liest, ist das eine Sache. Aber anzusehen, wie die Rohrindustrie funktioniert hat und wie es überhaupt zur Produktion von Rübenzucker gekommen ist, das ist eine hoch spannende Geschichte, die man nur schwer zusammengefasst erzählen kann. [Wer sich über die Geschichte der Zuckerindustrie informieren möchte, findet hier viele spannende Infos.]
Das Zucker-Museum in der Amrumer Straße war jedenfalls für Zuckerrübenanbauer und Menschen aus der Zuckerbranche gedacht. Es hatte Besucherzahlen von ca. 8.000 – 12.000 im Jahr. Das Gebäude musste aber irgendwann geräumt werden und die Exponate lagen dann im Reinickendorfer Archiv. Mein Freund Günter Jakobiak von der Nordzucker AG und ich haben dann beschlossen, dass es so nicht weitergehen kann und haben darauf gedrängt, dass die Ausstellung wieder eröffnet wird.

Wie haben Sie das geschafft?

Wir haben das Konzept – zusammen mit den Experten des Deutschen Technikmuseums in Berlin – so umgestellt, dass es für die breite Öffentlichkeit interessant ist. Zuckertechnologie findet aber auch noch genug Beachtung. Die Ausstellungsfläche ist im Vergleich zu vorher die zweieinhalbfache. Das Dachthema ist „Alles Zucker!“ und die Thematik wird wirklich ganz umfassend dargestellt. Zum Beispiel zeigt die Ausstellung, dass die Abkehr von den fossilen Brennstoffen ohne Zucker – als Großfamilie gesprochen – gar nicht möglich ist. Wir benötigen die Transformation des Sonnenlichts über Pflanzen zu Stoffen, die Nachfolgeprodukte der fossilen Welt sind. Ohne geht es nicht. Außerdem wird behandelt, dass Information bei Impfungen über Zuckermoleküle stattfindet. Es wird in der Wissenschaft daran geforscht, dass man diese Information so steuert, dass sie ohne einen Impfstoff funktioniert – dann gäbe es keine Impfrisiken mehr. Das ist sehr vielversprechend und auch über solche Dinge können sich die Besucher:innen in der Ausstellung informieren. Zucker ist eben neben Nahrung auch Werkstoff und Energie.
Heute hat unsere Sammlung etwa 500.00 Besucher im Jahr, denn das Deutsche Technikmuseum ist ein großer Besuchermagnet und dort ein Teil zu sein, macht sehr viel Spaß.

Christian Voß (r.) im Gespräch mit Dr. Thomas Kirchberg, Vorstand der Südzucker AG (l.), und Prof. Joseph
Hoppe, stellvertretender Direktor des Deutschen Technikmuseums in Berlin, in der
Ausstellung „Alles Zucker!“.
Foto: Hubert Rösel

Was treibt Sie bis heute an?

Mein Motiv ist es, das schlechte Image des Zuckers zu verbessern. Und um das zu tun, können wir nicht nur alte silberne Zuckerdosen ausstellen – was auch interessant ist, weil es kulturhistorisch von Bedeutung ist – aber damit locken wir niemanden hinter dem Ofen hervor. Wir müssen den Zucker selbst zum Thema machen, denn Saccharose ist ja kein schlechtes Lebensmittel an sich – wichtig ist, dass man seinen Kalorienhaushalt betrachtet: Was man durch die Nahrung zu sich nimmt, muss auch wieder verbraucht werden. Die Saccharose kann nichts dafür, dass sie verpönt ist. An dieser Stelle muss man in die Aufklärung und die Diskussion gehen. Und das mache ich sehr gern!

Über den Interviewpartner

Foto: Hubert Rösel

Christian Voß (73) wuchs als Landwirtssohn im Hannoverschen Wendland auf. Er lernte Agrarwirtschaft in Celle und studierte im Anschluss daran Zuckertechnologie in Berlin. Nach dem Studium arbeitete Christian Voß zunächst in einem Ingenieursbüro in Braunschweig, bis er von Frankenzucker [heute Südzucker] abgeworben wurde. Er übernahm 1984 die Leitung der Zentral-Abteilung in Ochsenfurt. Von dort ging es für ihn 1986 als Werksleiter ins westfälische Warburg. 1990 kam außerdem die Leitung der Fabrik im hessischen Wabern hinzu. Neben seiner Werkleiter-Tätigkeit in den beiden Werken hat Christian Voß nach der Wiedervereinigung beim Aufbau von Fabriken in den neuen Bundesländern Unterstützung geleistet und war als Berater unter anderem in Moldawien, Weißrussland und Russland tätig.
Auch in seinem 2011 begonnenen Ruhestand ist er weiterhin für die Zuckerbranche tätig. Unter anderem vertritt er sie als Vorstandsmitglied der Berufsgenossenschaft Rohstoffe und Chemische Industrie. Außerdem ist er stellvertretender Vorsitzender und Schriftführer des Fördererkreises Zucker-Museum e.V.

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.