Typisch Nordfriesisch

Das Telefon klingelt. Es ist der Geschäftsführer des Frasche Rädj/Friesenrats. Er erkundigt sich, ob ich mir vorstellen könne beim Biike-Empfang (2018 war das) etwas über die „Friesische Identität“ zu erzählen. „Na klar“, sagte ich selbstbewusst. Immerhin wohn ich ja schon fast sechs Jahre am schönten Fleck der Erde und hatte ausgiebig Zeit die Menschen und die Kultur nördlich des Pannesamt-Tischdecken-Äquators zu studieren. Pannesamtäquator?! Erklärung kommt im Laufe des Textes. Versprochen.

Ich setzt mich also hin und kritzle Identität der Friesen in mein Skizzenbuch. Ziemlich wuchtiges Wort. Was steckt eigentlich dahinter? Ich sortiere das mal nach Rubriken, damit ihr euch vorstellen könnt, was typisch nordfriesisch ist.

Die Identität der Friesen

Verkehr

Alle Landkreise in Schleswig-Holstein haben eine Autobahn – außer Nordfriesland. Trotzdem schildern wir aber selbstbewusst ab Niebüll die Autobahn aus und lassen die Touris denken, die wäre gleich um die Ecke. Hah! Genau mein Humor. Wer jetzt aber denkt, wir hätten keine dreispurige Straße, den muss ich enttäuschen. Haben wir: Die B5.  Zwischen Bredstedt und Sande wird hier auf dem Strandstreifen gefahren. Gesetz. Jeder, der unter 100 km/h auf der Uhr hat, reiht sich bitte rechts ein. Der Nordfriese an sich hat es eilig. Alternativ kann man Nordfriesland auch mit der Bahn durchreisen oder die Fähren nutzen, um auf die Inseln zu gelangen. Klarer Vorteil der Fähren: Sie fahren tidenabhängig und somit zuverlässiger als die Bahn.

Essen: Platten werden geschickt

Beim Essen gibt es klare innerregionale Unterschiede. Diese machen sich besonders beim Grünkohl bemerkbar. Je weiter man gen Dänemark fahrt, desto flüssiger und sahniger (jawohl!) wird die Konsistenz des Grünkohls. Ganz oben in Südtondern ist der Grünkohl noch feiner „gedreht“ als Rahmspinat. Momentmal, gedreht? Na Lego! Wir drehen den Grünkohl hier durch den Fleischwolf, anschließend drölf Liter Sahne (aber nur die gute Langenhorner mit ordentlich Bums) on top, fertig. Sieht aus wie Kuhfladen – schmeckt aber vielen.

Wo sich alle Nordfriesen aber einig sind, ist beim „Rumschicken der Torten“. Kurz zum Setting: Man sitzt an einer langen Tafel, die immer mit einer Pannesamttischdecke gedeckt ist. Witzig, Pannesamttischdecken sehe ich ausschließlich in Nordfriesland. Südlich der Eider hab ich sie noch nie gesehen, aber zurück zum Torten schicken. Der Erste nimmt sich ein Stück Torte ab und gibt weiter. Wenn alle Kuchen oder Torte haben, wird angefangen. Soweit so gut. Jetzt kommt es aber: Sobald man auch nur den ersten Bissen im Mund hat, wird einem die Tortenplatte wieder unter die Nase gehalten. „Tu man die Trümmertorte nochmal rumschicken.“ Wow. Jetzt kann man das hinterfragen, was hier grad passiert und was das soll. Schleißlich haben ja alle grad was auf dem Teller….kleiner Tipp: LASST ES. BITTE! Einfach machen. Ich habe die Erfahrung gemacht in Nordfriesland manche Dinge einfach zu machen. Die Torte, von der übrigens keiner ein zweites Stück genommen hat, wandert insgesamt noch zwei Mal im Kreis. Kaum denkst du, du könntest jetzt in Ruhe essen, wird Phase II eingeläutet: Kleine Kuchen. In 98% der Bundesrepublik ist das Gebäck als „Keks“ bekannt, hier heißt es kleine Kuchen. Kleine Kuchen sollte man immer im Haus haben. Wer weiß, vielleicht muss man mal spontan eine Scheibe einwerfen. Haben ist besser als brauchen.

Jobs

Ich war mal in Arlewatt auf dem Zeltfest und wurde von einem Typen angequatscht. Er fragte, was ich beruflich mache. Ich sagte, dass ich Landwirtschaft studiere und mich in die Kommunikationsrichtung ausrichte. Er grinste und sagte: „Ne, sei mal ehrlich. Bist du Arzthelferin oder sogar bei der Bank?“ Sprachlos schilderte ich meiner Freundin diese Konversation. Sie schmunzelte und sagte zu mir: „Weißt du Julia, in Nordfriesland ist man entweder Erzieherin oder Arzthelferin. Die „Guten“ sind bei der Bank. Die sind aber schnell vergriffen.“ Ich war höchst amüsiert bis ich merkte, dass es ihr ernst war – und auch seiner. Die nordfriesischen Herren sind meist im Handwerk, in der Landwirtschaft oder in der Energiebranche tätig. Ein beruhigendes Gefühl. Wenn Nordfriesland ab morgen mit einmal autark wäre, hätten wir genug zu Essen, ein Dach über den Kopf und ausreichend Strom. Dieser Fakt lässt mich ruhiger schlafen.

Sprache – Sünde

Vorurteil Nr.1: In Nordfriesland sprechen alle plattdeutsch. Stimmt, aber nur twischen Horstedt un Ockholm un dann eenmol röber no de Geest. Und da bitte überall! Bei EDEKA, an der Tanke, im Baumarkt, in der Bank und sogar im Kindergarten. Ab Niebüll und nördlicher wird es nicht mehr gesprochen, direkt an der Grenze teils sogar nicht mehr verstanden. Dafür gibt es aber Begriffe, die es nur hier gibt. Und die verstehen alle. Da wäre z.B. die Hecke. Kleine Anekdote: Mein Mann ruft mir zu, ich solle mal zur Hecke gehen. Er versteht unter „Hecke“ das Tor an der Einfahrt einer Koppel/eines Feldes. …Ich stand wie bestellt und nicht abgeholt an der Buchenhecke und hab gewartet. Auch andere Begriffe gibt es nur hier. „Passen“ bedeutet zum Beispiel betreuen/aufpassen. Ein Satzbau klingt damit dann so: „Wer passt bei euch die Kinder?“. Habe ich in meinem Sprachgebrauch nicht übernommen. In Nordfriesland sagt man auch nicht in bemitleidenswerten Situationen auch nicht „ach scheiße/schiete“, hier sagt man Sünde – mit einem scharfen S, also eigentlich ßünde.

So, das war Teil 1. Die Nordfriesen kann man nicht in einem Stück charakterisieren. Ich muss den Beitrag teilen. Part 2 folgt! Dann widme ich mich den kulturellen Highlights, wie Traditionen, Sport, Feste und der Landschaft.

Bis dahin,

Frische Grüße
Eure Deichdeern

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20 comments Add yours
  1. Ach, wie ist es bloß schön. Ich glaub ja, es ist weniger eine Frage des Meeres als des Nord-Ostsee-Kanals. Ich komme aus Kappeln und „Sünde“ ist dort ebenso ein Begriff. Die spezielle Verwendung wie in Angeln habe ich auch in Dänemark erlebt. „Das ist so Sünde ist das.“ Interpunktion fraglich. Und ich finde es voll spannend, dass diese Melodie sich sogar im Angelsächsischem zeigt. Isn´t it?!

  2. Den Begriff „passen“ kennen wir hier auch 😄 Und auch das Torten rumschicken. In Ostfriesland und Friesland sprechen allerdings sehr viele Lü plattdüütsch. Sogoor de Kinner in de School.

  3. Sünde heißt nicht Scheiße – Das Wort Sünde im Nordfriesischen kommt aus dem Dänischen „det er snyd“ (deswegen auch das scharfe S) und es bedeutet eigentlich alles. Das ist schade, traurig, schrecklich – man drückt damit sein Mitgefühl oder Bedauern aus.

    1. Hej Dorte, wieder was gelernt! Vielen Dank. Dann habe ich die letzten vier Jahre vielleicht einige Situationen falsch ‚übersetzt.‘ Hah!

  4. Danke Julia, du hast unsere Heimat traumhaft beschrieben. Da fühle ich mich beim Lesen zu Hause, obwohl ich schon seit Jahren nicht mehr in SH wohne.. Herrlich. Ich freue mich schon auf Teil 2.

  5. Das Platt differiert ja teilweise von Ort zu Ort in Nuancen. Genauso verhält es sich mit Friesisch, Frasch, oder Frask. ..
    Darauf gehst du dann sicher im 2. Teil ein😉

  6. Klasse. Ich bin gebürtig im Ruhrpott, habe dann 10 Jahre im Schwabenländle gewohnt und lebe nun schon seit einigen Jahren in Nordfriesland. Ich liebe Land und Leute und habe mich schon oft über Redensarten hier im Norden amüsiert. Zum Beispiel „Um den Pudding laufen“ oder jemanden „eine Reise schenken“, kenne ich nur von hier oben. Ich hoffe das sich das Plattdüütsche mit allen Redewendungen erhält, das gehört einfach hier her.

      1. U.a. für: schade, wenn jemandem was schreckliches passiert oder wenn einer einem leid tut….“das ist aber szünde für ihn“

  7. Schön! Genau aufn Punkt. Auch Das mit der B5.
    Aber zu der Sache mit der Hecke… Bei uns war die Öffnung in der Hecke immer das Heckloch oder auch Heck. Aber Hecke ist Hecke ..
    🙂

  8. Also was den Grünkohl angeht muss ich wohl – obwohl aus Österreich, seit 20 Jahren in Südhessen, was nordfriesisches in mir haben. Bei mir gibt es den nur mit ordentlich Sahne drin (so wie gestern)
    😀😀😀

  9. Spannend zu lesen …

    Da wir schon immer ein Faible für Nordfriesland hatten, sehr gute Freunde von uns dort schon immer wohnten und wir jetzt auch dort ein Haus bauen – kann ich mich hier ja schon mal so richtig „eingewöhnen“ … dann weiß ich, worum es geht.

    Sehr schön beschrieben.

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